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Kurdistan und das Kriegsende in EuropaDie „Republik Mahabad“

■ taz-Serie: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas geschah

Als am 8. Mai 1945 in Berlin der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, drehten die Leute im fernen Mahabad an den Reglern ihrer Radios. Seine Familie habe „ein riesiges Gerät mit einem Holzgehäuse und einem grünen leuchtenden Auge“ besessen, schreibt Ali Homam Ghasi. Der Sohn des späteren Gründers der „Kurdischen Demokratischen Partei Iran“ (KDPI), Ghasi Mohammed, erinnert sich, daß sein Vater an der Wand eine Weltkarte angebracht hatte. Darauf markierte er mit Stecknadeln den Verlauf der Fronten.

In den zurückliegenden Kriegsjahren hatte man im Hause Ghasi gerne das persischsprachige Kurzwellenprogramm aus Berlin gehört. „Der Redakteur, ein Perser namens Scharuch, machte sich die Anliegen des nationalsozialistischen Deutschland ganz zu eigen. Immer wieder beschwor er die Verwandtschaft zwischen den deutschen ,Ariern‘ und den Persern und Kurden, die doch auch ,Arier‘ waren“, erinnert sich der Sohn. Das wurde von manchen Kurden gern aufgenommen. „Die Deutschen waren in unserer Region niemals als Kolonialherren aufgetreten, im Gegensatz zu den Briten oder Russen. Im Ersten Weltkrieg hatten wir mit den Russen unangenehme Erfahrungen gemacht, und im irakischen Teil Kurdistans hatten die Engländer sehr viele kurdische Aufstände niedergebombt.“

Während des Zweiten Weltkrieges hatten Irans KurdInnen wieder direkten Kontakt zu sowjetischen, britischen und jetzt auch US-amerikanischen Soldaten. Am 25. 8. 1941 waren britische und sowjetische Truppen in

den Iran einmarschiert, US-Soldaten waren gefolgt. Der südliche Teil Iranisch-Kurdistans war von den Briten, der nördliche von den Sowjets besetzt worden.

Die Region um Mahabad – rund 58.000 Quadratkilometer, 500 Kilometer nordwestlich von Teheran an der Grenze zum Irak gelegen – blieb offiziell unter der Regentschaft Teherans. Nach dem Abzug der persischen Armee 1941 hatte sich dort jedoch eine kurdische Selbstverwaltung etabliert. Anfang 1945 stürmten Kurden die Polizeistation von Mahabad, das letzte Symbol der iranischen Zentralgewalt.

Nach Mahabad war inzwischen der legendäre irakische Kurdenführer Mullah Mustafa Barsani geflohen, dessen Aufstand gegen die von Großbritannien gestützte irakische Zentralgewalt von der britischen Luftwaffe niedergeschlagen worden war.

Ein Dreivierteljahr nach der deutschen Kapitulation, am 22. Januar 1946, wurde in Mahabad eine neue Fahne gehißt: eine rot- weiß-grüne Trikolore mit einer Schreibfeder, umgeben von Weizenähren und im Hintergrund eine strahlende Sonne. Präsident der Republik Kurdistan wurde Ghasi Mohammed. „Die Kurden leben, ihre Fahne wird niemals fallen“, sangen die BewohnerInnen ihre neue Nationalhymne. Doch sie irrten.

Am 27. 12. 1946 marschierten persische Soldaten in die nicht einmal ein Jahr alte Republik ein. Ghasi Mohammed und andere Kurden wurden in Mahabad auf jenem Platz gehenkt, auf dem sie die „Republik Kurdistan“ ausgerufen hatten. Thomas Dreger

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