: Die Renaissance der Blutgrätsche
BRASILIEN Nach dem Spiel gegen die Elfenbeinküste beklagt sich Trainer Carlos Dunga über den laxen Schiedsrichter
AUS JOHANNESBURG ANDREAS RÜTTENAUER
„Sie können bis zum Ende dabei sein.“ Sven-Göran Eriksson, der Trainer der an Brasilien gescheiterten Mannschaft der Elfenbeinküste, hält viel von der Mannschaft Carlos Dungas. Richtig gut gefallen hat ihm das erste Tor von Luis Fabiano im Spiel am Sonntagabend. In der Tat war es ein Musterbeispiel dafür, wie man eine physisch starke Defensive knacken kann. Dunga hat das Mittel gefunden: Sicheres Flachpassspiel ganz nah an der Strafraumgrenze, das abgeschlossen wird mit einem vertikalen Ball auf einen Spieler, der aus dem Rückraum heranstürmt. Heilfroh ist der Trainer, dass dies beim 3:1-Erfolg über die Elfenbeinküste so gut geklappt hat: „Es ist immer so schwer, gegen diese defensiven Mannschaften zu spielen.“ Und Brasilien muss das beinahe immer machen. Darüber will sich Dunga gar nicht beklagen. Und doch hat er sich beschwert nach dem Spiel. Es sei aus den Fugen geraten, meinte er.
„Wir wollen gut und schön spielen, aber ein gutes Spiel braucht Kontrolle.“ Mit diesen Worten kritisierte er Stephane Lannoy, den französischen Schiedsrichter. Denn Dunga schwant Böses. Er hat Angst um die Gesundheit seiner Spieler. Seine Viererabwehr um die Lustverteidiger Lucio und Juan in der Mitte und die zwei klugen, defensiven Mittelfeldspieler Felipe Melo und Gilberto Silva scheinen so furchteinflößend zu sein, dass sich die Gegner meist gar nicht in den Strafraum trauen. Dass man dagegen die brasilianischen Angreifer zermürben, ja zerstören kann, das haben die Ivorer gezeigt. Die Blutgrätsche hat den ersten großen Auftritt gehabt bei dieser WM. Der Schiedsrichter fand das alles halb so schlimm. Ismael Tiotes übles Faul an Elano, dem Torschützen zum 3:0, der daraufhin ausgewechselt werden musste, blieb ungeahndet. Tritte in die Ferse, Rempler, ausgefahrene Ellbogen – die brasilianischen Angreifer hatten es nicht leicht. Als sich Kaká nach einem Foul bei seinem Gegenspieler beschwerte, sah er Gelb. Das Foul war nicht gepfiffen worden. Der Referee hatte die Kontrolle über das Spiel verloren.
Die raren Hochbegabten, die Kreativen, sie stehen normalerweise unter dem besonderen Schutz der Schiedsrichter. Real Madrids Kaká ist es nicht gewöhnt, dass man ihn so behandeln darf. Wer in der Champions League mit einem wie ihm oder gar Lionel Messi in Körperkontakt kommt, muss damit rechnen, dass das als Foul gepfiffen wird, auch wenn es nicht wirklich schlimm war. Stephane Lannoy hat dagegen zugelassen, dass diejenigen, die den schönen Fußball ins brasilianische Spiel zurückbringen wollten, ein ums andere Mal gefällt wurden.
Schade, dass man ihn dazu gestern nicht befragen durfte. Die Fifa hatte die Medienvertreter zwar am Montag zu einem Tag des offenen Schiedsrichtertrainings eingeladen, aber sich Fragen nach umstrittenen Entscheidungen verbeten. Deren hat Lannoy ja viele getroffen. Luis Fabianos doppeltes Handspiel zum 2:0 war darunter die meistdiskutierte. Der hat auf seinen Treffer angesprochen bis über beide Ohren gegrinst und gesagt: „Der Ball hat mich an der Hand getroffen.“ So, so. Viel diskutiert war auch Kakas Gelb-Rote Karte nach einem leichten Schubser, woraufhin der gerempelte Abdelkader Keita zusammensank, als sei er vom Blitz getroffen worden. Fabiano, Keita und ein bisschen auch Kaká haben sich unsportlich verhalten. Den Sport zerstört haben an diesem Abend aber – unterstützt von einem überforderten Schiedsrichter – die ivorischen Brutalokicker. Sven-Göran Eriksson hat sicher recht: Die Brasilianer können weit kommen in diesem Turnier, wenn, ja wenn sie gesund bleiben.