: Die Rache des Events
Klassik im Club. Zur Eröffnung der Popkomm holte die Yellow Lounge am Dienstag Carl Craig und Moritz von Oswald ins Berghain. Sie stellten ihr neues Album „ReComposed“ vor, in dem sie sich mit Ravel und Mussorgsky beschäftigen
VON TIM CASPAR BOEHME
Es war schon ein seltsamer Anblick: In der großen Halle des Berghain, die wochenends von Tanzwütigen aus aller Welt bevölkert wird, hatte sich zur Eröffnung der Popkomm am Dienstag ein Publikum versammelt, das nur zum Teil enge Verbindungen zum Nachtleben zu haben schien. Umgeben von betonbetontem Fabrikhallenambiente sah man bürgerlich gewordene Altraver dicht gedrängt neben gut situierten Gästen, die vermutlich nie groß mit der Clubszene in Berührung gekommen waren. Der Altersdurchschnitt dürfte mindestens bei Mitte dreißig gelegen haben. An diesem Abend hatte die Yellow Lounge in den Feiertempel geladen, jene Veranstaltungsreihe der Deutschen Grammophon, mit der Klassik im Clubformat präsentiert wird. Die Schnittstelle zwischen beiden Welten, so steht zu vermuten, ist der „Event“. Im Grunde macht die Begegnung nämlich beide Seiten zu Verlierern: Für klassische Musik sind die akustischen Bedingungen im Club selten ideal, und tanzen kann man zu Beethoven auch nicht so gut.
Doch nun stand eine Premiere auf dem Programm, denn die klassisch ausgebildeten Musiker spielten bei diesem Konzert gemeinsam mit Elektronikern. Niemand Geringeres als die Produzentenlegenden Carl Craig und Moritz von Oswald waren gekommen, um ihr gemeinsames Album „ReComposed“ live vorzustellen. Die beiden Welten sollten so dicht aneinanderrücken wie noch nie zuvor.
Mit der „ReComposed“-Reihe hat sich die Deutsche Grammophon eine höchst ambitionierte Vermittlungsform für Klassik einfallen lassen. Technoproduzenten bekommen Aufnahmen aus dem Katalog des Labels zur Verfügung gestellt, um ihre Programmierfertigkeit an Bach oder Boulez zu erproben. Nach den Versuchen von Matthias Arfmann und Jimi Tenor ist das Gemeinschaftswerk Craigs und von Oswalds der dritte Beitrag zur Serie. Für ihre Zusammenarbeit haben sich der Detroiter Techno-Star Craig und der Berliner Dubtechno-Pionier von Oswald die Originalbänder der Karajan-Einspielungen von Maurice Ravels „Bolero“, der „Rapsodie espagnole“ und Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ vorgenommen. Ihr Ansatz, einzelne Elemente aus den Vorlagen neu zu kombinieren und das repetitive Muster des „Bolero“ als Protoform elektronischer Clubmusik zu interpretieren, geht fantastisch auf. Das Album ist der bisherige Höhepunkt der „ReComposed“-Reihe und besetzt völlig eigenständig einen Raum zwischen klassischer und elektronischer Musik. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es ist die Spannung zwischen klassisch-akustischem Ausgangsmaterial und elektronischen Produktionsverfahren, die Craigs und von Oswalds Album vibrieren lässt und so großartig macht. Das Miteinander klassischer Musik und Elektronik funktioniert in erster Linie als geniale Programmierleistung. Für das Konzert wagte man den Versuch, die gesampelten Klassikelemente von leibhaftigen Musikern spielen zu lassen und die Musik so an ihre Ursprünge zurückzuführen.
Doch schon der finnische Elektronikpionier Jimi Tenor, dessen „ReComposed“-Album vor zwei Jahren erschien, machte in den Neunzigern bei der Zusammenarbeit mit einem Symphonieorchester die Erfahrung, dass klassisch ausgebildete Musiker zwar die schwierigsten Partituren vom Blatt spielen können, aber bei simplen Loops kläglich scheitern. In einer ähnlichen Situation sahen sich die Musiker des „ReComposed-Ensembles“, die über weite Strecken des Konzerts kurze repetitive Figuren zu spielen hatten.
Dem Ensemble fehlte es leider an der nötigen Präzision, um das strenge Rhythmengeflecht Craigs und von Oswalds packend zu reproduzieren. Spannung konnte sich so kaum aufbauen, und die vereinzelten Soloimprovisationen von Klavier und Saxofon ließen den Klang in Richtung Beliebigkeit entgleiten.
Elektronische Effekte kamen so sparsam zum Einsatz, dass sie kaum zu bemerken waren. An der Stelle schließlich, an der die Klassikelemente ernsthaft in Dialog mit der Elektronik hätten treten sollen, war das Konzert schon beendet. Nur mit Computer wäre das nicht passiert, selbst wenn die Bühnenshow darunter gelitten hätte. Richtig glücklich sahen Craig und von Oswald nicht aus, als sie sich vor dem Publikum verneigten.
Auf technische Hindernisse anderer Art stieß die britische Harfenistin Catrin Finch, als sie im Vorprogramm den erkrankten Bass René Pape vertrat – ihr Instrument tönte weitgehend verzerrt aus der Verstärkeranlage. Finchs lobenswerter Einsatz änderte wenig daran, dass die Harfe ein undankbares Soloinstrument ist: Irgendwie schwankt der Klang stets zwischen Sirtaki und Minnesang. Das störte nicht groß, stundenlang faszinieren konnte es aber auch nicht. Unpraktisch war nur, dass die Veranstalter für die Dauer des Auftritts ein Getränkebestellverbot ausgesprochen hatten.