noch 9 tage bis nizza: Die Probleme eines EU-Gipfels
Polens ungefragter Rat
Keine Erweiterung, so lautet eine gängige Floskel der Nizza-Diskussion, ohne vorherige Reform. Umso erstaunlicher, dass die Beitrittskandidaten in der Debatte kaum zu Wort kommen. Gerade in Polen, dem größten Bewerberland, wird das schmerzlich registriert. Denn für die Intellektuellen östlich der Oder ist der Erweiterungs- und Reformprozess mehr als die Ausweitung der Direktbeihilfen auf polnische Kleinbauern.
Außenminister Bartoszewski lehrte in seiner Exilzeit als Professor in München. Damals schien es ihm einfacher, in mitteleuropäischen Politiker- und Intellektuellenkreisen Gehör zu finden, als in seiner heutigen Position. Vielleicht fällt deshalb seine Kritik so scharf aus. Joschka Fischer, der vor Berliner Studenten seine Europa-Visionen entwarf, ist für ihn ein kleiner Bruder des polnischen Sciencefiction-Autors Stanislaw Lem. „Fischer ist in Deutschland geboren, wo man eine andere Vorstellung von Föderalismus hat. Deshalb sind seine Visionen nicht immer auf Europa übertragbar.“
Aber auch Polens Außenminister glaubt, dass eine grundlegende Reform der EU nach Nizza nötig wird. Eine EU-Verfassung müsse künftig die Rechte der Bürger festschreiben. An dem Prozess müssten die Kandidatenländer beteiligt werden – „sonst vergrößert sich das demokratische Defizit der EU.“
Auch zu den anstehenden praktischen Fragen hat sich Bartoszewski Gedanken gemacht. Er will am Prinzip ein Land – ein Kommissar festhalten. Die Stimmen im Rat sollten künftig nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes gewichtet werden. Einstimmigkeit im Rat sollte nur noch bei Verfassungsfragen erforderlich sein.
Könnte Polen sich vorstellen, zeitweise auf einen eigenen EU-Kommissar zu verzichten? Auf diese Frage hat Bartoszewski eine Antwort, die eines Eulenspiegels würdig wäre: „Man kann nicht auf etwas verzichten, was man nicht hat.“ DPS
Und morgen: Wie Mehrheitsentscheidungen im Rat die Umweltpolitik beeinflussen
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