Die Privatkopie macht's möglich: Kein Knast für Kassetten
Schon 1971 wurde das Recht auf kostenlose private Tonbandaufnahmen von urheberrechtlich geschützter Musik bestätigt. Das Urteil ist heute noch erstaunlich aktuell.

Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag eine Klage der Musikwirtschaft gegen das Recht auf eine digitale Privatkopie von CDs abgelehnt (wir berichteten). Streit um die Privatkopie gab es aber auch schon früher. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1971 wirkt erstaunlich aktuell.
Auch damals musste schon zwischen Privatsphäre und Industrie-Interessen abgewogen werden. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat 1971 das gesetzliche Recht auf kostenlose Privatkopien implizit bestätigt, weil ein Verbot zu sehr in die Privatsphäre der Bürger eingreifen würde. Der Beschluss (E 31, 255 - 1 BvR 755/66) beleuchtet bereits sehr deutlich den Kern der heutigen Auseinandersetzung.
Das gesetzliche Recht auf eine private Vervielfältigung geschützter Werke ist alt. Schon 1901 stand es im damaligen Urhebergesetz. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) 1955 entschieden, dass Tonbandaufnahmen nicht vom privaten Vervielfältigungsrecht umfasst sind.
An diese Möglichkeit habe der Gesetzgeber um die Jahrhundertwende nämlich noch nicht gedacht, deshalb müsse der Schutz des Urhebers vorgehen. In der Folge versuchte die Musik-Verwertungsgesellschaft GEMA im Interesse der Urheber, von allen Tonbandbesitzern Lizenzgebühren einzufordern. Sie wollte, dass beim Kauf eines Tonbandgerätes dem Händler jeweils der Personalausweis vorgelegt werden muss, damit die Daten der Käufer an die GEMA weitergegeben werden können. Dies hat der (BGH) 1964 aber als "unzumutbar" abgelehnt.
Für sinnvoll hielt er dagegen einen Anspruch der Urheber bzw. der GEMA gegen die Hersteller von Tonbandgeräten, weil die Herstellung solcher Geräte eine "Beihilfe zur Verletzung von Urheberrechten" darstelle. Diesen Gedanken griff der Bundestag 1965 auf. Im Urheberrechtsgesetz wurde ein umfassendes Recht auf die Erstellung von Privatkopien eingeführt, das auch Tonbandaufnahmen erfasst. Im Gegenzug erhielten die Urheber einen Anspruch gegen die Hersteller von Tonbandgeräten.
So entstand die heute noch bestehende und mehrfach ausgeweitete Geräte-Abgabe. Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit der Sache befassen, weil die Hersteller von Tonbandgeräten die Abgabe nicht zahlen wollten und als unnötigen Eingriff in ihr Eigentumsgrundrecht ansahen.
Die Vervielfältigung von Musik durch "Magnettongeräte" sei gar keine Gefährdung für die Interessen der Urheber. Schließlich hätten sich die Umsätze der Schallplattenindustrie von 1950 bis 1959 sogar verzehnfacht.
Die Richter lehnten die Klage ab. Sie fanden es nicht willkürlich, das Geld von den Geräteherstellern einzutreiben statt von den Tonbandbesitzern. Die Jahre nach der BGH-Entscheidung von 1955 hätten gezeigt, "dass ein Vergütungsanspruch gegen den privaten Nutzer kaum realisierbar ist". Um solche Ansprüche durchzusetzen, hätte der Gesetzgeber der GEMA ein Kontrollrecht im privaten Bereich der Tonbandbesitzer einräumen müssen. Das aber wäre mit dem Grundrecht auf Unverletztlichkeit der Wohnung unvereinbar gewesen.
Viele der Argumente von damals sind auch heute noch relevant. Die Ansprüche der Musikindustrie gegen File-Sharer sind schwer zu realisieren und erfordern den Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur die an verfassungsrechtliche Grenzen stößt. Zu beachten ist aber, dass damals der Gesetzgeber das Recht auf Privatkopie eingeführt hatte und die Industrie dagegen klagte.
Wenn heute also der Gesetzgeber das File-Sharing im Rahmen einer Kultur-Flatrate legalisieren würde, dürfte Karlsruhe dagegen wohl auch keine Einwände haben. Umgekehrt wird man aber kaum erwarten können, dass das Verfassungsgericht den Gesetzgeber zwingt, eine Kulturflatrate einzuführen. Auch in der jüngsten Entscheidung zur digitalen Privatkopie hat Karlsruhe den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont.
Az.: 1 BvR 3479/08
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