■ Die Plutoniumfabrik in Hanau darf gebaut werden: Nicht Gerichte, die Politik entscheidet
„Nach dem Urteil des Berliner Bundesverwaltungsgerichts muß die Bundestagswahl über die Zukunft der Atomanlagen entscheiden“, erklärte der grüne hessische Umweltminister Joschka Fischer gestern in Wiesbaden. In der Tat: Spätestens mit diesem Urteil, das den Siemens-Brennelementewerken in Hanau die Fertigstellung und Inbetriebnahme einer brandneuen Fabrik für die Herstellung von Brennelementen aus Uran und Plutonium (MOX) erlaubt, steht fest, daß der Kampf gegen die Atom- und Plutoniumindustrie nicht vor den Schranken von Gerichten zu gewinnen ist. Der Sieg vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof im Jahre 1993, als die Richter in Kassel gleich drei Teilerrichtungsgenehmigungen der inzwischen abgelösten alten CDU/FDP-Landesregierung für die neue MOX-Schmiede kassierten, war ein Pyrrhussieg. Die letzte Instanz zählt – und die hat gestern die Kläger aus den Reihen der Initiative Umweltschutz Hanau (IUH) ausgezählt.
Der Kampf gegen den „gefährlichsten Stoff, mit dem die Menschen umgehen“ (Fischer) muß politisch ausgefochten und dann auf der politischen Ebene gewonnen werden. Mit der MOX-Verarbeitung auf deutschem Boden halten die Atom- und Plutoniumfetischisten in Bonn und München (Siemens) die Legende vom „Kernbrennstoffkreislauf“ am Leben. Denn das bei der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus deutschen Reaktoren etwa in Frankreich (La Hague) anfallende Plutonium muß in Deutschland „entsorgt“ oder verarbeitet werden. Eine gesicherte „Entsorgung“ gibt es nicht – und die Verarbeitung zu wieder in Leichtwasserreaktoren verwendbaren MOX-Brennelementen kann auf deutschem Boden nur die neue MOX-Fabrik in Hanau garantieren. Nur weil die Vorstandsvorsitzenden von Siemens und KWU, von RWE und PREAG – und mit ihnen die AtompolitikerInnen vor allem aus den Reihen von CDU/CSU und FDP – nicht bereit sind, in Sachen „Kernbrennstoffkreislauf“ den längst überfälligen Offenbarungseid zu leisten, wird die Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet durch die MOX-Produktion der Gefahr einer Menschheitskatastrophe ausgesetzt. Inkorporierte Dosen von Plutonium im Mikrogrammbereich lösen bei Menschen und Tieren Krebs aus. Und Plutonium hat eine sogenannte Halbwertszeit von 24.000 Jahren.
Das alles hat das Bundesverwaltungsgericht in Berlin nicht interessiert. Die Richter in der Hauptstadt entschieden in der Revision über ein Urteil ihrer Kollegen in Kassel unter Berücksichtigung der inzwischen veränderten Rahmenbedingungen (Stillegung von MOX-alt). Das Urteil über die Zukunft der Atom- und Plutoniumindustrie in Deutschland muß die Politik fällen – und zwar auf Bundesebene. Denn das Atomgesetz ist ein Bundesgesetz. Und Klaus Töpfer (CDU) sein Vollstrecker. Deshalb ist der 16. Oktober 1994 (vielleicht) tatsächlich ein Meilenstein auf dem Weg zum endlichen Einstieg in den Ausstieg aus der Atom- und Plutoniumtechnologie. Doch ob der Kanzlerkandidat der SPD, falls tatsächlich gewählt, dann tatsächlich der Exterminator auch für das Atomgesetz sein wird, den sich Joschka Fischer herbeisehnt, steht noch in den Sternen. Mr. 130 km/h Rudolf Scharping als Ausstiegsmotor? Wer's glaubt, wird selig – wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel. Klaus-Peter Klingelschmitt
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