Die Perspektiven der Occupy-Bewegung: Erst schrumpfen, dann wachsen
Der Bankenprotest geht weiter. Am Samstag demonstrierte die Occupy-Bewegung in Berlin und Frankfurt. Am Main gab es aber parallel auch eine Demo von Rechten.
Der deutsche Occupy-Protest geht weiter: Die Demonstrationen gegen die Macht der Banken haben sich am Samstag wiederholt, wenn auch etwas kleiner als zuvor. Unter anderem in Berlin, in Frankfurt, in Köln und Düsseldorf protestierten Menschen unter dem Motto "Wir sind 99 Prozent", dem Credo des Occupy-Protests. Hat sich die Bewegung an diesem Wochenende etabliert?
Wenn es nach Attac geht, dem bekanntesten und erfahrensten Akteur in der jungen Bewegung, dann haben die Demonstrationen erst begonnen. Die Globalisierungskritiker wollen am 12. November das Regierungsviertel in Berlin und die Banken in Frankfurt umzingeln. Max Bank, Sprecher im Attac-Koordinierungskreis, informierte die Berliner Demonstranten am Samstag vor dem Reichstag über die Umzingelungspläne.
Die Occupy-Aktivisten klatschten, hoben beide Hände, als Zeichen der Zustimmung. Vergangenes Jahr kreiste die Anti-Atom-Bewegung Bundestag und Kanzleramt ein – mit 100.000 Demonstranten. Eine Kundgebung, an deren Ende der Atomausstieg stand. Kann Occupy wiederholen, was den Atomgegner gelang?
Max Bank von Attac ist sich sicher. Er erlebte das zweite Wochenende des Occupy-Protests als Bestätigung. "Es hat sich bewiesen, dass die Proteste dauerhaft sein werden", sagte Bank. Die Bewegung habe Fahrt aufgenommen und bleibe dynamisch.
Wem gehört der Protest?
Im Internet ist unterdessen ein Kampf um die Deutungshoheit in der Bewegung entbrannt. Mehrere Gruppen auf Facebook erheben gleichzeitig den Anspruch, die "echte" Occupy-Gruppe zu sein. Wem gehört der Protest? Und: auf wen hört er?
Viele Occupy-Anhänger weigern sich gegen Strukturen, sie wollen keine Sprecher. Oder besser: Sie wollen, dass jeder sein eigener Sprecher ist. Auf den Versammlungen der Okkupisten treffen Individuuen auf Individuuen, so will es die junge Bewegung. Jeder hat Rederecht. Wenn die Polizei nach einem Versammlungsleiter fragt, dann antworten die Demonstranten: Wir sind alleine hier.
Hinzu kommt: Einige Menschen demonstrieren auf den Occupy-Kundgebungen zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie fühlen sich vom Motto der 99 Prozent angesprochen; vom ideologiefreien, friedlichen und inklusiven Charakter der Proteste. "Ich trete heute zum ersten Mal vor einer Gruppe auf", sagte eine junge Demonstrantin am Samstag in Berlin. Vor ihr saßen über hundert Okkupisten auf der Reichstagswiese. Die Sonne schien. "Ich fühle mich gut bei euch", sagte die Demonstrantin. Die Menge applaudierte, hob die Hände. Einigen gefällt das: die Wohlfühlstimmung der 99 Prozent.
Die unschönen Seiten
Die große Offenheit der Bewegung zieht auch Gruppen an, die den meisten Demonstranten zuwider sind: Rechte, Sektierer und Europagegner. Sie nutzen die allgemeine Verunsicherung aus. Das ist der unschöne Teil der größtmöglichen Mehrheit.
Im Internet rief die NPD dazu auf, die Occupy-Proteste am Wochenende zu unterwandern. In Frankfurt demonstrierte am Samstag das "Aktionsbündnis Direkte Demokratie", ein Zusammenschluss von Rechtspopulisten und Europagegnern. Und in einigen Orten des Protests macht sich eine obskure Vereinigung aus den USA breit, die Zeitgeist-Bewegung. Sie nutzt den Protest der 99 Prozent zur Selbstdarstellung.
Im Frankfurter Protestcamp wird nun diskutiert, wie man mit unerwünschten Gruppen umgeht, ob man sie ausschließen kann oder akzeptieren muss, ob man auf Klasse statt auf Masse setzt. Vielleicht müssen die 99 Prozent erst schrumpfen, um wachsen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen