piwik no script img

Die Perspektive der Linse

Sie experimentierte und sie fotografierte Bildgeschichten für große Illustrierte. Der jüdischen Fotografin Yva ist eine eigene Mappe in der Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ gewidmet

Yva: Selbstporträt. Mehrfachbelichtung mit Gemälde von Heinz Hajek-Halke. Das Bild erschien in der Zeitschrift „Das Magazin“ Nr. 24 im August 1926 Foto: Yva

Von Inga Barthels

Tausende von Karteikarten hängen an den Wänden des großen Lesesaals im Rathaus Schöneberg. Darauf sind handschriftlich einzelne Namen und Adres­sen notiert. Es handelt sich um die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten deportiert wurden. Im Bayerischen Viertel gab es einst eine lebendige jüdische Gemeinschaft.

An sie erinnern im Rathaus auch über 150 Alben mit biografischen Texten, Zeitzeugenberichten und Fotos. Dort kann man etwas über die Lebensgeschichten berühmter Bewohner*innen wie Albert Einstein oder Nelly Sachs lesen, aber auch von unbekannten Ermordeten und Überlebenden des Holocaust. Mit vielen der Zeitzeugen haben die Macher der Ausstellung gesprochen, ihre Berichte lassen sich im Saal anhören. „Wir waren Nachbarn“ heißt dieses besondere Projekt der Erinnerungsarbeit.

Die Schöneberger Ausstellung ist ein Work in Progress. Seit 2005 kommen ständig neue Alben dazu. In diesem Jahr stehen jüdische Fotografinnen im Fokus. Gisèle Freund hat bereits ein eigenes Album. Jetzt gesellt sich ihre Kollegin Yva dazu, die auch als Lehrerin von Helmut Newton bekannt ist. Dass Yvas Fotografien inzwischen wieder in großen Auktionshäusern wie Grisebach versteigert werden, ist vor allem den Kulturwissenschaftlerinnen Marion Beckers und Elisabeth Moortgat zu verdanken. Sie arbeiten im Verborgenen Museum, das sich Künstlerinnen widmet, die um 1900 geborenen wurden und vergessen sind. 2001 zeigten sie eine große Yva-Retrospektive. Mit dem biografischen Album im Rathaus beleuchten sie nun deren Lebensgeschichte.

Yva wurde 1900 als Else Neuländer in Kreuzberg geboren, Tochter eines Kaufmanns und einer Hutmacherin. Dass Yva als Kind eine berufstätige Frau als Mutter vor Augen hatte, schätzt Marion Beckes als wichtig für Yvas Karriere ein. Sie lernte bei der Fotografin Suse Byk und eröffnete bereits 1925 ihr eigenes Atelier in der heutigen Klingelhöferstraße.

Außer der Werbe- und Modefotografie widmete sich die junge Künstlerin auch experimentellen Arbeiten. Berühmt machten sie vor allem ihre Mehrfachbelichtungen, technisch aufwendige Arbeiten, bei denen sie eine Platte bis zu sechsmal belichtete. Die Bilder wirken dadurch wie ein Kaleidoskop, Perspektiven verschieben sich.

„Worauf es in meinen Bildern ankommt, das ist die durchaus eigene Perspektive der Linse, die Abstufung der Lichtwerte in der Platte, die eigene Kompositionsfähigkeit des Bildes“, schrieb Yva 1927. Sie entfernte sich damit radikal von der bis zur Mitte der 20er Jahre üblichen Porträtfotografie und brachte eine eigene Ästhetik in das Genre ein. „Das ist schon sensationell“, sagt Elisabeth Moortgat. Für derartig vorausschauende Experimente sei heute vor allem der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy bekannt.

Im Laufe ihrer Karriere ließ Yva aber von den Experimenten ab und konzentrierte sich auf die Belieferung der Illustrierten. Gedruckte Fotografien verbreiteten sich in der Weimarer Republik rasant, eine Entwicklung, die mit der Verbreitung des Internets zu vergleichen sei, sagen die Kulturwissenschaftlerinnen. Yva profitierte von diesem Boom wie viele andere junge Fotografinnen.

Um 1929 gab es in Berlin mindestens 400 Fotoateliers, etwa 30 Prozent davon wurden von Frauen geleitet. „Die Frauen waren hoch angesehen in der Fotografie“, betont Beckers. Yva war sogar eine der erfolgreichsten ­Fotografinnen der Stadt. Sie arbeitete eng mit dem Uhu zusammen, einer Monatszeitschrift des Ullstein Verlags. Gemeinsam mit dem Chefredakteur Friedrich Kroner entwickelte sie Fotobildgeschichten, ähnlich den Foto­lovestorys, die in der Bravo zu sehen sind.

Die Tänzerin Beatrice Garga in Yvas Fotobildgeschichte „Lieschen Neumann will Karriere machen. Das Scheindasein vor der Kamera“. Erschienen 1930 in der Zeitschrift „Uhu“ Foto: Yva

1934 heiratet Yva den jüdischen Kaufmann Alfred Simon, mit ihm zieht sie aus der Bleibtreustraße, in die sie 1930 gezogen war, in eine noch größere Atelierwohnung in der Schlüterstraße. Noch 1934 beschäftigte Yva zehn Mitarbeiter – zu einer Zeit also, zu der die Nationalsozialisten bereits die Macht ergriffen hatten. Yva und ihr Mann waren damals der Überzeugung, dass der Spuk bald vorbei sein würde, sagt Beckers. Doch dann ging alles sehr schnell.

Im selben Jahr wurde der Ullstein Verlag und mit ihm der Uhu zerschlagen. 1936 musste Yva ihr Atelier „arisieren“, da Jüdinnen und Juden keine „arischen“ Menschen mehr beschäftigen durften. Sie übertrug ihren Betrieb offiziell ihrer Freundin Charlotte Weidler und arbeitete trotzdem weiter. 1938 wurde das Ehepaar aus der Wohnung vertrieben, es folgte Zwangsarbeit und schließlich die Deportation nach Sobibór. Dort wurden Yva und ihr Mann ­Alfred Simon 1942 ermordet. Sie hinterließen nichts, viele ihrer Fotografien wurden im Krieg vernichtet. Yvas Werk war lange Zeit vergessen.

Ein Bestand ihrer Arbeiten im Ullstein-Bildarchiv ermöglichte ihre Wiederentdeckung Ende der 1990er Jahre durch Beckers und Moortgat. Dass Yva heute auch dafür bekannt ist, dass der berühmte Helmut Newton einst bei ihr lernte, halten die Kulturwissenschaftlerinnen für lächerlich. Newton habe als 15-Jähriger nicht einmal zwei Jahre bei ihr im Atelier verbracht, sagt Moortgat. Yvas Leben und ihr Werk brauchen keine Verbindung zu Helmut Newton, um zu beeindrucken. Das ist jetzt auch im Rathaus Schöneberg zu sehen und nachzulesen.

Wir waren Nachbarn Rathaus Schöneberg, täglich 10–18 Uhr, freitags geschlossen. Eintritt frei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen