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Die Perestroika des Franz Steinkühler

Im folgenden dokumentieren wir Auszüge aus der Rede des IG -Metall-Vorstizenden Steinkühler vor dem Zukunftskongreß am Samstag.

Europa 1992

Wir wollen in einem Europa leben, in dem soziale Abstände unter den Arbeitnehmern der verschiedenen Länder soweit wie möglich und so schnell wie möglich verkleinert werden. Wir wollen eine umfassende soziale Harmonisierung auf möglichst hohem Niveau. Sie muß in einer verbindlichen Sozialcharta für den großen Binnenmarkt niedergelegt werden. (...) Was würde es für Europa bedeuten, insbesondere für die schwächeren Länder, wenn in der Bundesrepublik zusätzlich zu den vorhandenen Standortvorteilen eine Anpassung der Sozialstandards nach unten stattfände? Dann würde kaum mehr jemand in Spanien, Portugal, Italien, ja selbst in Frankreich und England investieren, und die Sonderstellung der Bundesrepublik im Rahmen der internationalen Konkurrenzfähigkeit wäre noch drastischer. Und ich sage sehr bewußt als Vorsitzender der IG Metall: Nicht jeder Arbeitsplatz kann und darf in der Bundesrepublik erhalten bleiben. Und nicht jeder neue Arbeitsplatz kann und muß hier in der Bundesrepublik geschaffen werden. Es ist ein Gebot der internationalen Solidarität, die Arbeitslosigkeit auch in anderen Ländern abzubauen und sie nicht noch dorthin zu exportieren, wo sie schon am höchsten ist.

Individualismus und kollektive Interessenvertretung

Der selbstbewußte, der selbständige Mensch ist nichts, was wir zu bedauern hätten. Im Gegenteil: Es war immer das Ziel der Gewerkschaftsbewegung, den Menschen vom Joch der Unterdrückung, von materieller Abhängigkeit und gesellschaftlicher Fremdbestimmung zu befreien. Nur - dazu bedarf es einer kollektiven Interessenvertretung. Sie ist geradezu Voraussetzung, um individuelle Spielräume zu erkämpfen, zu erhalten, in Anspruch zu nehmen und weiterentwickeln zu können.

Arbeitszeitpolitik, Flexibilisierung

Wir werden (nach Durchsetzung der 35-Stunden-Woche 1990/ d. Red.) die Lage und Verteilung der Arbeitszeit noch flexibler ausgestalten, als wir das in der Vergangenheit bereits getan haben. Es gilt, die unterschiedlichen Zeitbedürfnisse der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und eine hohe Zeitsouveränität zu verwirklichen.

Ökologischer Umbau

Für den gesellschaftlichen Transformationsprozeß in modernen Industriestaaten sind Gewerkschaften unverzichtbar. Glaubt jemand, die Umstellung auf eine ökologische Kreislaufwirtschaft sei ohne oder gar gegen die Gewerkschaften durchsetzbar? Wenn es zu Branchenkoalitionen kommt, in denen Arbeitnehmer Arm in Arm mit den Unternehmensleitungen den status quo aufrechterhalten wollen, dann ist keine Umgestaltung möglich, egal auf welchem Sektor. Es ist ein legitimes Interesse von Arbeitnehmern in der Rüstungs-, in der Kernenergie und in der Chemieindustrie, für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, kann diese berechtigten Einzelinteressen mit den gesamtgesellschaftlich notwendigen Überlebensinteressen zum Ausgleich bringen? Wer denn, wenn nicht die Gewerkschaften, kann Druck machen in Richtung Ersatzarbeitsplätze, in Richtung sozialverträglichem Umbau dieser Industriegesellschaft?

Solidarität, Lafontaine-Debatte

Gewerkschaften waren immer auch Organisationen, in denen bessergestellte Arbeitnehmer Solidarität mit Schlechtergestellten geübt haben und in der einer für den anderen eintrat. Angesichts einer heterogener werdenden Arbeitnehmerschaft kommt es verstärkt darauf an, dieses Solidaritätsverständnis zu praktizieren. Eine Gewerkschaft, die sowohl die Interessen von Teilzeitbeschäftigten mit wenigen hundert DM im Monat, als auch die Interessen des Entwicklungsingenieurs mit 8.000 Mark im Monat und mehr vertreten will, ist im besonderen Maße auf die Solidarität in einer Klasse angewiesen. (...)

Offenheit, Diskussionsfreudigkeit

Jugendliche, Frauen und Angestellte...haben einen Anspruch auf eine Gewerkschaft, die in der Lage ist, (ihre) Interessen auch aufzunehmen und zu vertreten...In der IG Metall muß jeder seine Ideen einbringen können, ohne vorher Funktionär werden zu müssen. (...) Offene Gewerkschaftsarbeit heißt, unorthodoxen Ideen und unkonventionellem Handeln einen Raum geben. Offene Gewerkschaftsarbeit heißt, den Dialog mit Gruppen außerhalb der IG Metall zu führen, für deren Sicht der Dinge aufgeschlossen zu sein und nach gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten zu suchen. (...) Die IG Metall kann Plattformen bieten, in denen alle Ideen diskutiert werden können.

Geschlechterfrage

Wir wollen die Öffnung der Arbeitswelt für Frauen und Männer. Wir wollen, daß Elternverpflichtungen, Familienaufgaben und berufliche Tätigkeit miteinander vereinbar werden. Dazu müssen die Organisationsprinzipien unserer Arbeitsgesellschaft verändert werden. Dazu muß auf die Festlegung von Geschlechterrollen dort verzichtet werden, wo diese nicht zwingend erforderlich ist.

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