„Die Partei“ erobert die Universitäten: Dann lieber Satire
Was macht eine Spaßpartei, deren Uni-Ableger Sitze im Studierendenparlament erhält? Sie macht von Zeit zu Zeit ernsthaft Politik.
Van Deest ist gerne lustig. Das sieht dann so aus: Erst kürzlich setzte er sich für den Anbau von Hanf im studentischen Garten ein. Damit wollte Die Liste „ein längst überflüssiges Bedürfnis“ der Studierenden stillen. Neben Hanf forderte van Deest durchsichtige Regenponchos für alle Parlamentarier „für mehr Transparenz“, eine „Sonderbildungszone für Juristen“, um andere Studierende vor ihnen zu schützen, und einen sprechenden Harry-Potter-Hut, der den Studierenden Kurse zuteilt, „für eine bessere Seminarplatzvergabe“. Kein Antrag ging durch.
Satire kritisiert, prangert an und stellt bloß. Satire kann politisch sein, aber kann sie auch Politik? Mit Martin Sonneborn sitzt ein Satiriker im Europaparlament und der Komiker Jón Gnarr war vier Jahre lang Bürgermeister von Reykjavik. Sonneborn ist Vorsitzender der Satirepartei Die Partei, Absolvent der Universität Münster und Vorbild aller Liste-Gruppen in Deutschland.
In Brüssel spielt Sonneborn Minigolf in seinem Büro und isst am Schreibtisch saure Gurken, die er vorher mit einem Lineal gemessen hat. Er macht viel, aber keine Politik. Er rührt dem Brüsseler Politbrei ein wenig Spott bei. Doch wie lange hält es ein Satiriker in dieser Rolle aus? Sonneborn zumindest bleibt sich treu. Er bleibt ein Clown, auch als Abgeordneter.
Sozialisiert durch „extra 3“ und „heute-show“
Aber warum engagieren sich Studierende in einer satirischen Hochschulgruppe? Maik van Deest begeisterte sich schon während der Schulzeit für Satire, las die Titanic, schaute „extra 3„oder die „heute-show“. Es waren diese Sendungen, die sein politisches Interesse geweckt haben. Einige Studierende, die sich in der Liste engagieren, sind Mitglied in der SPD oder der CDU. Doch bei deren Ablegern an der Hochschule seien sie auf „verkrustete Strukturen“ und „alberne Grabenkämpfe“ gestoßen. Aus Sicht der Liste nehmen sich die anderen Hochschulgruppen zu ernst und schmücken mit dem Engagement bloß ihren Lebenslauf. Dann lieber Satire ohne Fraktionszwang und mit der politisch flexiblen Ausrichtung „Rechts-Mitte-Links“.
Satire scheint, zumindest bei einer bestimmten Wählergruppe, anzukommen. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai erhielt Die Partei knapp 55.000 Stimmen und damit 0,6 Prozent. Auch an vielen Universitäten haben Studierende Die Liste in ihr Studierendenparlament gewählt. Dort sitzen sie in Gremien und entscheiden über den Haushalt. Fast 13 Millionen Euro verteilt das studentische Finanzreferat in Münster. Das Studierendenparlament ist ein wichtiger Pfeiler der Mitbestimmung, erkämpft in den sechziger Jahren.
Dennoch nehmen nur wenige Hochschulpolitik ernst. In Münster gingen 18,5 Prozent der Studierenden zur Wahl – im Vergleich zu anderen Hochschulen mit Beteiligungen von sechs bis sieben Prozent ist das sogar hoch. „Teilweise brauchen einzelne Kandidaten hier an der Universität mit über 40.000 Studierenden nur 40 bis 50 Stimmen, um ins Parlament zu kommen.“ Van Deest schüttelt den Kopf. „Wenn man seinen Freundeskreis anspricht und alle Bekannten aus seinem Studiengang, hat man die schnell zusammen.“
Sudoku-Rätsel als Wahlversprechen
Auch deshalb nimmt die Liste den Wahlkampf nicht ernst. Slogans wie „Wir für Dir“ oder „Mehr Kapitalismus wagen“ kommen gut an. „Die Studierenden sind gelangweilt von den anderen Plakaten, die machen immer denselben Schrott“, sagt van Deest. So werbe der CDU-nahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) immer gegen den „Veggie-Wahn“ und Campus Grün lobe jedes Mal seine ökologische Arbeit. „Phrasendrescherei“, nennt van Deest das. Er verteilt vor der Mensa lieber Sudoku-Rätsel als Wahlversprechen.
Anruf bei Marcus Neick in Rostock. Er ist Mitglied der Liste an der Rostocker Universität und seit fast einem Jahr studentischer Prorektor – deutschlandweit ein einmaliges Amt. Neick gehört somit zur Verwaltung der Universität. Er respektiere sein Amt nicht weniger als Mitglieder anderer Hochschulgruppen, betont er. Doch die Mitgliedschaft in einer Satiregruppe schafft offenbar Misstrauen.
Prorektor der Uni Rostock
Der Rektor der Universität wollte vor Neicks Wahl wissen, ob er auch ernsthaft sein könne. „Wenn ich so arbeiten würde wie Martin Sonneborn im Europaparlament, wäre ich nach einem Monat rausgeflogen“, sagt Neick. „Satirische Arbeit funktioniert nach meiner Erfahrung nur in Parlamenten.“ Trotzdem findet er Satire wichtig und glaubt, dass sich dank der Liste mehr Studierende für Hochschulpolitik interessieren. Das erkenne er an der steigenden Reichweite bei Facebook.
Der Witz hat sich überlebt
Auch an der Universität Bayreuth haben Studierende Die Liste mehrmals in ihr Parlament gewählt. „Anfangs wollten wir gar keine Hochschulpolitik machen und hatten auch gar keine Ahnung davon,“ sagt Roland Fink, der Die Liste in Bayreuth mit gegründet hat. Doch nach vier Jahren im Studierendenparlament hat sich die Gruppe aufgelöst. „Der Witz hat sich für uns überlebt, wir wurden zu professionell“, sagt Fink.
Die Partei: Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz: Die Partei, wurde 2004 von Titanic-Redakteuren gegründet und hat nach eigenen Angaben 22.900 Mitglieder haben. Vorsitzender ist Martin Sonneborn, seit 2014 Mitglied des Europaparlaments.
Das Programm (Auszug): Ja zu Europa. Nein zu Europa; Abschaffung der Sommerzeit; Artenschutz für die Grünen.
Die Erfolge: Bundestagswahl 2013 – 0,2 Prozent; bei den jüngsten Landtagswahlen zwischen 0,32 (Baden-Württemberg) und 1,95 Prozent (Berlin).
Die Liste: Inzwischen hat die Partei 48 Hochschulgruppen, an der Uni Rostock stellt sie seit 2016 den studentischen Prorektor.
Kann Satire an zu viel Ernst scheitern? Martin Sonneborn hat seine Rolle im Europaparlament bisher nicht gebrochen. Im März hat er „1.000 vollkommen überflüssige T-Shirts produzieren lassen, um sie interessierten Bürgern zur Verfügung zu stellen“, Aufschrift „Truck Fonald Dump“.
Die Liste in Münster möchte der Universität den Spiegel vorhalten, mit Blödeleien provozieren. Aber anders als bei Sonneborn kann sie das nur begrenzt. In kleinen Gremien, in denen Die Liste mit nur einem Studierenden vertreten ist, hält sie die Satire nicht durch. Also versucht die Gruppe ab und zu etwas anderes – richtige Politik. „Wir wollen dem Studierendenparlament nicht ans Bein pissen, wir wollen sinnvolle Hochschulpolitik machen“ sagt van Deest. Und so hat Die Liste ein Rederecht für alle durchgesetzt, die nicht im Parlament sitzen, und eine Liveübertragung der Sitzungen angeregt.
Die „Liste“ legt Protest ein
Außerdem hat Die Liste im November 2015 gegen das Vorhaben des AStA protestiert, die Ausländische Studierendenvertretung abzuschaffen und in ein vom AStA kontrolliertes Referat zu überführen. Für Die Liste war das in einer Zeit wachsender Fremdenfeindlichkeit ein fragwürdiges Signal. Lokale Medien berichteten, die anderen Listen ruderten zurück, der stellvertretende AStA-Vorsitzende musste gehen.
Dass Die Liste auch ernst gemeinte Forderungen erhebt, sieht der RCDS der Uni Münster kritisch. Die Wähler würden sie schließlich nicht dafür wählen. Tatsächlich ist „Inhalte überwinden“ einer ihrer Slogans. Auch Jusos und Campus Grün können nicht immer einschätzen, was Die Liste möchte: Politik oder Satire?
„Die Sichtweise hat sich stark verändert über die Jahre“, sagt van Deest. Inzwischen würden die anderen Hochschulgruppen merken, dass sie mit vielen Anträge auf etwas Ernstes hinaus wollen. „Das ist die Aufgabe von guter Satire.“ Trotzdem müsse sich Die Liste beim Formulieren der Anträge sehr bemühen. „Es gibt immer ein paar Spezialisten, die es nicht verstehen.“
Regeln, in Stein gemeißelt
Manchmal aber geht eine andere Liste auch auf die Ironie ein. So wie an diesem Montagabend. Es ist inzwischen 21 Uhr, Die Liste und die anderen Fraktionen tagen seit drei Stunden im Hörsaal. Nach Berichten aus den Ausschüssen stellt Die Liste einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung. Dazu zitiert sie aus der des Bundestags, die eine geheime Wahl vorschreibt. „Im Gegensatz dazu wählt das Studierendenparlament bei Personen- und Listenwahlen offen“, heißt es in dem Antrag der Liste. „Damit also weiterhin Kontrolle über die Fraktionsmitglieder ausgeübt werden kann, sollte an der bestehenden Regelung festgehalten, sie sollte sogar in Stein gemeißelt werden!“, steht dort weiter.
Die liberale Hochschulgruppe LHG, auf deren Tisch mittlerweile acht leere Bierflaschen stehen, hat den Wink verstanden. Sie stellt einen Antrag auf geheime Wahlen im Studierendenparlament. Die Abgeordneten stimmen dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl