■ Die PDS siegt in Ostdeutschland – hilft ihr das wirklich?: Die Angst vor dem Erfolg
Für viele Aktivisten der PDS müssen die beiden letzten Wochen einen Sturm sich widerstreitender Emotionen heraufbeschworen haben. Die katastrophalen Niederlagen der SPD in Thüringen und Sachsen wärmen das Herz, denn den sozialdemokratischen Hilfstruppen des Kapitals ist, wie es früher so schön hieß, „eine kräftige Abfuhr“ erteilt worden. Andererseits aber ist eine starke SPD unbedingt vonnöten, wenn, und sei es nur auf der Ebene der ostdeutschen Länder, ein Alternativprogramm zum rot-grünen Sparkurs verwirklicht werden soll. Rot-rote Koalitionen funktionieren nur, wenn eine größere SPD von dem kleineren Koalitionär nach Bedarf gepusht oder als opportunistisch denunziert werden kann. Umgekehrt wird kein Schuh draus. Denn ein Absturz der SPD in die Bedeutungslosigkeit wäre nur bei einer Strategie sinnvoll, die die „Massen“ vom Reformismus befreien will, um dann zum Sturm auf die kapitalistische Zwingburg zu blasen. Nichts liegt indes der PDS ferner als dieser Gedanke.
Die PDS erntet jetzt im Osten die Früchte jenes Gerechtigkeits- & Innovationsversprechens, das die SPD vor den letzten Bundestagswahlen aussäte. Walter Benjamin schrieb einmal, der Faschismus verhilft den Massen zu ihrem Ausdruck, aber nicht zu ihrem Recht. Kann die PDS denen, die sie unterstützen, zu ihrem Recht verhelfen?
Bis jetzt reichte es, auf die Frage nach der Finanzierbarkeit ökonomischer Projekte zu antworten: „Lasst die Reichen zahlen.“ In dem Maße, in dem die PDS zur Oppositionspartei Nr. 1 in Deutschlands Osten wird, wächst der Realitätsdruck. Gysi und Bisky konnten bisher die diversen konservativen Anwürfe (PDS = hochfrisierte SED) stets in ebenso viele Wahlkampfwaffen für das eigene Lager ummünzen. Wie aber werden die PDS-Oberen künftig der Kritik begegnen, ihre konkreten Reformprojekte seien ineffektiv – und unbezahlbar? Wie werden sie ihre Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verteidigen, vor allem ihr Kernprojekt, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, dessen praktische Ergebnisse bislang unerheblich sind? Kann eine eigenständige regionale Entwicklung im Osten Deutschlands tatsächlich ins Auge gefasst werden? Oder sind das Träumereien von einem „Sonderweg“, der nur die trostlose Realität fortdauernder, riesiger Haushaltstransfers kaschiert? Wer genau hinhört, wird jetzt ein leises Stoßgebet aus dem Karl-Liebknecht-Haus vernehmen: Lieber Gott, hilf der SPD rasch aus ihrem Loch heraus. Christian Semler
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