PRESS-SCHLAG: Die Olympischen Spiele fressen ihre Kinder
■ Heute entscheidet das IOC über die Vergabe der Spiele von 1996/Favorit der Romantiker: Athen
Die politische Führung Griechenlands propagiert unverdrossen, daß der Name des Geheimnisses, wie man aus der Betonmetropole eine moderne und grüne Hauptstadt machen kann, „Olympische Spiele“ heißt. Heute wird im fernen Tokio das Internationale Olympische Komitee (IOC) darüber abstimmen, welcher Stadt das größte sportliche Spektakel der Welt im Jahre 1996 zugesprochen wird. Sollten sich die „Romantiker“ im IOC durchsetzen, hat Athen aus emotionalen und historischen Gründen gute Aussichten, dabei als Sieger hervorzugehen. Die zeitgenössische Version des ehemals edlen Wettstreites um einen Olivenzweig hatte 1896 ebenfalls in Griechenlands Hauptstadt Premiere.
Nach den „Spielen der Anabolika“ in Seoul 1988 sieht eine Gruppe im IOC mit der Rückkehr zu den geographischen Wurzeln die große Möglichkeit, den Olympischen Spielen wieder etwas mehr idealistischen Geist einzublasen. Und Athen war auch während der gesamten dreijährigen Vorbereitungszeit schon darum bemüht, die Kultur beim Kampf um die Austragung der Spiele ins Rennen zu schicken. In diesen Tagen, wo sich Vertreter von Großkonzernen und Regierungen und die 88 IOC-Mitglieder in Tokio tummeln, läuft dort auch gleichzeitig die Ausstellung „Körper und Geist“, die von Athen aus startet.
Unter die Gäste in Japans Hauptstadt mischte sich auch der langjährige Buhmann griechischer Politiker: Ex-König Konstantin, Ehrenmitglied des IOC. Jetzt wehrt sich keine der großen Parlamentsparteien mehr — die „Linkskoalition“ eingeschlossen — gegen seinen Einfluß, der Athen zu den Olympischen Spielen verhelfen könnte. Konstantins Schwager ist immerhin der König von Spanien, Juan Carlos, und der ist wieder gut Freund mit Juan Antonio Samaranch, dem Präsidenten der „Mafia aus Grafen, Prinzen, Millionären und Weißen“. So beschrieb Fidel Castro das IOC. Die Volksabstimmung von 1974, bei der sich die Griechen mit großer Mehrheit gegen die Monarchie aussprachen, hat Konstantin nie akzeptiert. Er träumt davon, spätestens im Jahre 1996 wieder eine königliche Rolle zu spielen.
Die Chancen der griechischen Hauptstadt, aus der heutigen Abstimmung in Tokio als Sieger hervorzugehen, stehen tatsächlich nicht schlecht. Als ihre größten Gegner gelten in erster Linie das australische Melbourne und die US-Stadt Atlanta. Ein Kritiker der olympischen Euphorie in Griechenland meinte zu dieser Ausgangsposition sarkastisch: „Wir sind ohne Zweifel in ernster Gefahr, die Spiele von 1996 zugesprochen zu bekommen.“
Nur eine Handvoll Ketzer problematisiert die möglicherweise katastrophalen Folgen von „Athen 1996“. Schon jetzt lebt fast jeder zweite Grieche in dieser Stadt, und — um an dem historischen Großereignis mitzunaschen — es werden zigtausende aus der bereits jetzt vernachlässigten Provinz den „Wasserkopf“ des Landes vergrößern. Sollte Athen die Spiele austragen, wird der Geldfluß ins restliche Griechenland praktisch gestoppt; das Budget erhält Korrekturen, und der Bau von Stadien und Kulturanlagen wird von den Mitteln des Kulturministeriums einen Löwenanteil fressen.
Athen ist auch für seine Lebensqualität nicht gerade berühmt. Der minimale Anteil an Grünflächen, den es besitzt, würde vor allem durch die Errichtung der olympischen Dörfer weiter vermindert. Die Stadt besitzt nur 2,9 Quadratmeter bebaubaren Raum pro Einwohner, während der Durchschnitt in der EG bei 31 Quadratmetern liegt.
Die Politiker jedoch schwelgen — wie zum Beispiel Staatspräsident Konstantinos Karamanlis — in beinahe kindlichem Optimismus: „Nirgendwo anders kann das Ideal der Olympischen Spiele besser zum Tragen kommen als in Athen. Gleichzeitig mit der Lösung von Problemen, die wir heute mit dem Smog, dem öffentlichen Verkehr und der Telekommunikation haben, wird die Regierung 1996 alles zur Verfügung stellen können, was benötigt wird.“
Die Schäden, die durch die Austragung der Olympischen Spiele entstehen können, werden mit Gründerzeitjubel beiseite geschoben. Das angesehene Wirtschaftsmagazin 'Ikonomikos Tachydromos‘ führt sie jedoch an: „Die Olympiade bedeutet mehr Smog für Athen, weniger Grün, mehr Zement, verstärkte Landflucht und größere Abhängigkeit von Phänomenen wie Regenmangel.“ Die „Goldenen Olympischen Spiele 1996“ sind eine zweifelhafte Chance für Griechenland. Vielleicht aber eine Chance für Athen, die Lebensqualität seiner Einwohner noch weiter zu verringern. Robert Stadler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen