■ Die OSZE kann ihren Zeitplan im Kosovo nicht einhalten: Falsche Neutralität
Die internationale Gemeinschaft habe doch aus der Geschichte des Bosnienkrieges gelernt, erklärte kürzlich ein wichtiger internationaler Diplomat in Sarajevo mit Blick auf den Konflikt im Kosovo. Mit der OSZE-Mission habe die internationale Gemeinschaft einen Fuß drin in Jugoslawien. Milošević könne nicht mehr schalten und walten, wie er wolle, der Krieg sei eingefroren worden.
Letzteres ist sicherlich richtig. Die OSZE ist in Serbien zu einem innenpolitischen Faktor geworden. Doch schaut man auf die Details, scheinen sich einige der in Bosnien gemachten Fehler doch zu wiederholen. Das Verhalten der Truppen der Vereinten Nationen – also der Unprofor – und die Politik der zivilen Verhandler wie Jusushi Akashi trugen in Bosnien zu einem gewaltigen Autoritätsverlust der Vereinten Nationen bei. Jetzt ist es die OSZE, die sich in den aufgestellten Fallen zu verheddern und ihre eigene Autorität aufs Spiel zu setzen droht.
Wenn dem serbischen beziehungsweise jugoslawischen Staat erlaubt ist, über die Austeilung von Visa direkt auf die Personalpolitik der Organisation Einfluß zu nehmen und die Installierung der Beobachter zu behindern und damit zu verzögern, dann hat die Autorität der OSZE schon Schaden genommen. Die Rekrutierungspraxis des lokalen Personals, die Einstellung vor allem von Serben, trägt zudem nicht unbedingt zu einer Vertrauensstellung der Organisation unter der albanischen Bevölkerungsmehrheit bei. Vor allem der Begriff der „Neutralität“, wie er von den Sprechern der Organisation jetzt schon gebraucht wird, könnte die Mission in die Sackgasse führen.
Die Definition nämlich, die stillschweigend akzeptiert wird, beinhaltet, einen „Kompromiß“ zwischen den „beiden verfeindeten Parteien“ zu finden. Folglich werden Übergriffe der Staatsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung wie die Widerstandsaktionen der albanischen Befreiungsarmee auf eine qualitativ gleiche Stufe gestellt, als habe es jahrelange Unterdrückung und die Etabilierung eines Apartheidssystems nicht gegeben. Mit dieser Auffassung von „Neutralität“ steht die Mission jedoch in der Gefahr, die Aktionen einer totalitären Staatsmacht zu verharmlosen und den kosovo-albanischen Widerstand zu einer totalitären Schimäre umzudeuten. Die OSZE-Mission könnte von der Bevölkerungsmehrheit des Kosovo schon bald als Gegnerin angesehen werden, wenn die wahren Umstände und Hintergründe des Konflikts nicht auch öffentlich ausgedrückt werden. Erich Rathfelder
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