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Die Notbremse ziehen

■ Kunst im Zeitalter der knappen Kassen: Der Kunstverein und die Deichtorhallen mußten geplante Ausstellungen streichen

Auf seinen 1200 Quadratmetern hat der Kunstverein seine aktuelle Skulpturenausstellung großzügig inszeniert – aber der verschwenderische Umgang mit dem Raum ist eher ungewollt. Denn die eigentlich geplante Ausstellung von Hans Arp und Franz West stellte sich als nicht bezahlbar heraus, so daß die Notbremse gezogen wurde.

Mit Kopf und Bauch, aber ohne Arme im schmalen Hochformat wurde der Direktor des Kunstvereins, Stephan Schmidt-Wulffen, in einer Hamburger Monatszeitschrift abgebildet: eine Metapher für einen Direktor, dem der Handlungsspielraum fehlt. Denn der Kunstverein kommt immer tiefer in die Schere zwischen einem international anerkannten, ambitionierten Programm und der Notwendigkeit, große Ausstellungen für nur 15.000 Mark machen zu müssen. Solche Beträge reichen kaum für Transport und Versicherung. „Eine kleine Ausstellung kostet hier normalerweise 60.000, eine normale 100.000, eine ambitionierte 140.000 Mark. Allein Druck und Versand der Einladungskarten kosten schon 7000 Mark, ein Katalog 30.000“, erläutert Schmidt-Wulffen den Kostenrahmen. Nun sind zur Zeit alle Kunstinstitute zum Sparen angehalten. Man ist der Senatorin schon dankbar, daß es wenigstens kaum weitere Kürzungen im Kulturetat für 1996 gibt.

Mit Lob läßt sich kein Programm bezahlen

Doch der laufende Betrieb läßt sich nun mal nicht allein mit Lob für ein kompromißloses Programm bezahlen. Was im Kunstverein gezeigt wird, ist nicht nur am dichtesten an der aktuellen Entwicklung der Gegenwartskunst, sondern mischt auch aktiv mit an der Positionsbestimmung junger Kunst. Themen wie En passant – Der Künstler als Flaneur (nächste Ausstellung in der großen Halle), ein großer Überblick über die Werte der aktuellen Malerei (im November) oder die erste deutsche Präsentation der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist (nächste Ausstellung im Erdgeschoß) belegen dies. Und ein weniger aktueller Schwerpunkt ist in der Aufgabenteilung zwischen den internationalen Deichtorhallen, dem regionalen Kunsthaus des BBK, der Freien Akademie, den im Herbst in der Markthalle startenden Galeristen und der Hamburger Kunsthalle als Traditionsinstitut auf der sogenannten Kunstmeile für den Kunstverein auch kaum sinnvoll.

Doch für ein Programm aktueller Kunstdiskussion sind kaum Sponsoren zu gewinnen, vielleicht eher Paten oder Stifter. Aber diese sind dann sogleich ordnungsgemäß empört, wenn in dem großen Glaskasten der Fassade plötzlich ganz un-ironisch für ein Musical geworben wird. Für nächstes Jahr soll die Anzahl der Projekte im Kunstverein auf drei reduziert und die Struktur des Hauses verändert werden.

In Geldnöten aber allein auf den Charme der Beschränkung zu setzen wäre zuwenig. Das Problem zwischen Anspruch und Finanzen scheint kaum zu lösen, macht doch allzu neue und theoretisch anspruchsvolle Kunst für viele Besucher, Mitglieder und Geldgeber den Kunstverein eher unattraktiver: eine Teufelsspirale, aus der auch viel selbstausbeuterisches Engagement nicht heraushilft.

Auch der oft gehörte Rat, möglichst populäre Ausstellungen zu machen, bietet keine Lösung. Denn die Besucherzahlen sind nicht unbegrenzt steigerbar. So waren selbst ausgefuchste Kunstvermittler überrascht, als die Deichtorhallen mit der großartigen Roy-Lichtenstein-Schau des Guggenheim-Museums keinen Gewinn machen konnten. Deren Projekte spielen sich in einer um eine Zehnerpotenz höheren Preisklasse ab, aber auch dort ist das ursprüngliche Programm nicht mehr zu realisieren. Die Ausstellung des russischen Konzeptionalisten Ilya Kabakov mußte auf das nächste Jahr verschoben werden. Für dessen geplante Installation wären zusätzlich umfangreiche Arbeiten nötig. Zudem laufen gerade Sanierungen an Dächern und Fenstern, die die Körber-Stiftung nur zum Teil bezahlt. Da ein Überschuß aus früheren Ausstellungen zum Ausgleich fehlt, mußte auch in den Deichtorhallen die Notbremse gezogen und auf eine weitere prestigeträchtige, aber verlustbringende Ausstellung verzichtet werden.

Nach dem einstigen Jubel um die Hamburger „Kunstspange“ vom Deichtor bis zum Ferdinandstor droht jetzt genau das einzutreten, was kritische Geister wie der letzte Kunsthallendirektor Werner Hoffmann schon vor Jahren warnend vermuteten: Es ist relativ einfach, die räumlich größte Ausstellungskapazität Europas einzurichten, aber finanziell und inhaltlich ist es sehr schwer, das auch alles auf Dauer zu bespielen.

Hajo Schiff

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