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„Die Nigerianer sind es satt“

■ Empörung nach Annullierung der Wahlen / Wahlsieger Abiola: Ich bin Präsident

Lagos/London (IPS/AFP) – Empörung und Unruhe ist die vorherrschende Reaktion in Nigeria und im Ausland auf die Annullierung der Präsidentschaftswahlen durch die regierende Militärjunta. Die USA und Großbritannien haben ihre militärische Hilfe eingefroren; aus dem Auswärtigen Amt in Bonn verlautete gestern: „Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen sind nicht auszuschließen.“

Am Mittwoch hatte die Regierung General Ibrahim Babangidas in einer stündlich verlesenen Radiomitteilung „alle Handlungen oder Unterlassungen“ der Nationalen Wahlkommission (NEC) Nigerias für nichtig erklärt. Gestoppt wurden alle noch anhängigen Gerichtsverfahren über Ausgang und Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahlen vom 12.Juni. Auch das von Babangida letztes Jahr selbst verkündete „Dekret Nr. 52“, das die Machtübergabe an eine zivile Regierung bis zum 27.August vorschreibt, wurde suspendiert. Am gleichen Abend drohte der Militärrat mit der Verhängung des Ausnahmezustands. Alle Gouverneure der 30 Bundesstaaten würden für „jeden Bruch von Gesetz und Ordnung in ihrem Machtbereich“ verantwortlich gemacht.

Der inoffizielle Wahlsieger Moshood Abiola von der Sozialdemokratischen Partei (SDP) erklärte sich daraufhin am Donnerstag abend selber zum Präsidenten Nigerias. Dies sei der „Wille des Volkes“, sagte er vor Journalisten. Der Bürgerrechtler Gani Fawehinmi forderte alle Nigerianer auf, ihr Votum vom 12. Juni zu verteidigen. „Die Menschen wissen, was zu tun ist“, sagte er. „Die Nigerianer sind es satt.“

Ein Politologe in Lagos, der auf Anonymität bestand, meinte sarkastisch: „Diese Dinge können nur in Nigeria passieren.“ Die Annullierung des Wahlergebnisses sei Wasser auf die Mühlen derer, die mit einem Präsidenten aus dem Süden Nigerias nicht einverstanden seien. Tatsächlich stammten bis auf zwei Ausnahmen alle Staatschefs des Landes seit der Unabhängigkeit 1960 aus den nördlichen Bundesstaaten. Es sind auch die Gouverneure dieser Region, die sich an die Spitze einer Fraktion gestellt haben, die die Annullierung der Wahlen verlangt. Sie gehören der bei den Wahlen unterlegenen „Nationalen Republikanischen Konvention“ (NRC) an; ihr Wortführer ist der NRC-Pressesekretär Okey Uzoho. Nur lobende Worte fand er für den Schritt der Regierung. In einer Erklärung verlangte er „Neuwahlen ohne Verzögerung“. Dem schloß sich am Donnerstag auch NRC-Kandidat Tofa an. Er rief die Regierung dazu auf, so bald wie möglich neue Präsidentschaftswahlen zu veranstalten, diesmal unter „strikteren Bedingungen“.

Exilnigerianer in England äußerten ihre Furcht, daß in Nigeria ähnliches geschehen könnte wie in Somalia. Manche erinnerten an den blutigen Krieg, der der Sezession des Bundesstaates Biafra in den 60er Jahren folgte. Soji Idowu, Sprecher protestierender Studenten in Lagos, erklärte: „Der Schritt der Regierung könnte die Nation in die längsten, komplexesten und gefährlichsten Unruhen in der Geschichte Nigerias führen.“

Der Regierungskritiker Tai Solarin warnte vor allzu heftigem Protest zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Es sei unklug, eine Provokation mit gleicher Münze heimzuzahlen. Das Militär, so Solarin, werde nicht zögern, „jeden Protest mit Gewehren auszuradieren“.

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