■ Die Niederlage in Bremen, vor allem aber der Schock von Düsseldorf sind ein Menetekel. Zwar will es so mancher Genosse noch nicht wahrhaben. Aber ohne eine rot-grüne Perspektive droht die Volkspartei SPD...: Wem die Stunde schlägt
Die Niederlage in Bremen, vor allem aber der Schock von Düsseldorf sind ein Menetekel. Zwar will es so mancher Genosse noch nicht wahrhaben. Aber ohne eine rot-grüne Perspektive droht die Volkspartei SPD auf lange Sicht in die Bedeutungs-
losigkeit abzurutschen. Jetzt, nach dem jüngsten Wahldebakel, muß Rudolf Scharping die SPD auf Bundesebene für die Bündnisgrünen koalitionsfähig machen.
Wem die Stunde schlägt
Mitte der achtziger Jahre war es und gehört zu den wenigen Sternstunden, auf die die Bonner Runde zurückblicken kann. Damals gab sich noch die erste Garnitur die Ehre, und es war Willy Brandt, der, ironisch lächelnd, Helmut Kohl die Gemeinsamkeit der Demokraten aufkündigte: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik entdeckte Brandt öffentlich die Mehrheit links von der Union – nicht die eigene Mehrheit der SPD, keine Neuauflage einer sozialliberalen Koalition, sondern eine Mehrheit von SPD und Grünen.
Galt für die CDU damals noch: „mit denen spricht man nicht, die sollen sich erst mal von der Gewalt distanzieren“, so löste Brandts Satz auch in der SPD ein mittleres Erdbeben aus. Wie konnte Willy das illegitime Kind der Sozialdemokratie als Koalitionspartner auch nur in Erwägung ziehen? Die Mehrheit der Partei glaubte schließlich noch ganz fest daran, daß die Grünen, wenn man sie nur einfach nicht zur Kenntnis nehme, schon wieder verschwinden würden. Schließlich hatte die SPD in ihrer langen Geschichte schon so manche Partei kommen und auch wieder gehen sehen.
Diesmal lief die Geschichte anders. Sonntag abend mußte Günther Verheugen Vollzug melden. Die Ahnung Brandts ist Realität geworden, das alte bundesrepublikanische Parteiensystem hat sich gründlich verändert. Derjenige sei doch mit Blindheit geschlagen, erregte sich der Bundesgeschäftsführer der SPD, der nicht sehen wolle, daß die Bündnisgrünen sich als drittstärkste Kraft durchgesetzt hätten, der Abgang der FDP nur noch eine Frage der Zeit sei.
Selbst wenn die FDP sich hier und da halten sollte, ihre Bedeutung wird gegen Null tendieren, weil sie ihre Rolle in den Ländern bereits verloren hat und spätestens 1998 auch im Bund verlieren wird. Zwar bekam FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle bei Verheugens Ausbruch rote Flecken im Gesicht. Aber adressiert war die Empörung des SPD-Mannes nicht an die Koalition, sondern an den eigenen Laden. Wann endlich, so die unausgesprochene Frage, werdet ihr es verstehen.
Wer nicht verstehen will, muß fühlen: Nichts wird die SPD so sehr schmerzen wie der Holzhammerschlag, den ihr die Wähler am Sonntag in Nordrhein-Westfalen verpaßt haben. Die schier uneinnehmbare Festung der SPD-Rechten, die Hochburg der Traditionalisten mitsamt der letzten lebenden Legende der Sozialdemokratie, wurde geschleift. Das heißt, sie wurde noch nicht einmal geschleift, sondern durch Nichtbeachtung dem Verfall preisgegeben. Das „weiter so“ der SPD hat sich in den Augen der eigenen Wähler überlebt – sie blieben zu Hause.
Der Schlüssel für Bonn liegt in Düsseldorf. Das war beim Wechsel zur SPD-FDP-Koalition 1969 so, und das könnte für 1998 wieder so sein. Das entscheidende Bollwerk für eine rot-grüne Perspektive in Deutschland waren schon bei den letzten Wahlen nicht so sehr Helmut Kohl, die CDU oder die PDS. Das entscheidende Bollwerk war und ist die SPD in NRW. Daran hat Johannes Rau selbst auch nie einen Zweifel gelassen, obwohl es ihm immer wieder schmerzliche Niederlagen einbrachte.
Als Kanzlerkandidat der SPD kämpfte er 1987 für die eigene Mehrheit – und verlor drastisch. In der Bundesversammlung zur Wahl eines neuen Präsidenten kämpfte er für seine eigene Mehrheit – und fiel durch. Am Sonntag nun erhielt er im Kampf um seine eigene Mehrheit endlich auch an Rhein und Ruhr eine Abfuhr. Wie immer es jetzt in Düsseldorf weitergeht, die Ära Rau ist vorbei. Die letzte bedeutende bundespolitische Weichenstellung Raus innerhalb der SPD ragt allerdings noch weit in die Zukunft hinein und heißt Rudolf Scharping. Scharping, das hat zumindest Verheugen klar erkannt, hat jetzt vor allem eine Aufgabe: Er muß die SPD auf Bundesebene für die Bündnisgrünen koalitionsfähig machen. Wer sich die innere Dynamik der Ökopartei in den letzten zehn Jahren vor Augen hält und dann damit vergleicht, was in dieser Zeit innerhalb der Sozialdemokratie geschehen ist, wird zugeben müssen, daß dies keine Anmaßung der Kleinen, sondern pure gesellschaftliche Notwendigkeit ist.
Eine Modernisierung der SPD ist lange überfällig. Seit dem Abgang Brandts ist in der Partei zwar viel herumlaboriert, aber wenig verändert worden. Während die Bündnisgrünen immer mehr in die Bereiche der Dienstleistungsgesellschaft eindringen, den flexibelen, gebildeten und tendenziell wohlhabenden Mittelstand zu sich herüberziehen, droht die SPD eine reine Verliererpartei zu werden. Das ist dramatisch und darf eigentlich nicht passieren. Solange die CDU zusammenhält und eine Volkspartei bleibt, der es weiterhin gelingt, den gesellschaftlichen Bereich von rechts außen bis in die christliche Mitte hinein zusammenzuhalten, muß die SPD dafür sorgen, eine Reformperspektive auf breiter Basis abzusichern. Die Bündnisgrünen werden nie zu einer klassischen Volkspartei, und solange es in der deutschen Parteienlandschaft Volksparteien gibt, ist die SPD das Gegengewicht zur CDU. Sie muß diese Rolle nur endlich wieder annehmen.
Die Niederlage in Bremen, vor allem aber der Schock von Düsseldorf ist ein Menetekel, das bei Strafe des eigenen Bedeutungsverlusts nicht übersehen werden darf. Nach dem Motto „Wem die Stunde schlägt“ werden in der SPD entweder jetzt die Weichen für 1998 gestellt, oder sie werden gar nicht gestellt. Seit Sonntag abend kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die CDU/CSU ihren Koalitionspartner verliert, die PDS nicht wieder in den Bundestag kommt und die Bündnisgrünen den Ausschlag geben werden. Noch hält die überwiegende Mehrheit der Bündnisgrünen die SPD für ihren geborenen Partner. Noch redet man innerhalb dieser Partei fast automatisch von Rot-Grün, wenn von einer Regierungskoalition die Rede ist. Noch hat die SPD also einen kaum hoch genug einzuschätzenden strategischen Vorteil gegenüber der Union. Ob das so bleibt, entscheidet sich nicht zuletzt wieder in NRW. Angefangen von den kommenden Koalitionsverhandlungen über die dann folgende gemeinsame Regierungsarbeit – wenn es in Düsseldorf geht, geht es auch in Bonn, respektive Berlin.
Friedhelm Farthmann, der Mann fürs Grobe in der NRW- SPD, der am Sonntag abend für Rau den Kopf hinhalten mußte, gab unumwunden zu, daß ihm die kommenden Koalitionsverhandlungen ein Greuel sind. Nicht so sehr, weil man überhaupt die Macht teilen muß, nicht weil es anstrengender wird, politisch unterschiedliche Vorstellungen in Regierungshandeln umzusetzen, sondern weil „zwischen mir und den Grünen Welten liegen“. Was Farthmann und viele andere in der SPD noch immer nicht kapiert haben, ist, daß ihre Welt die von gestern ist. Die Rau-SPD muß sich gewaltig verändern, oder sie wird untergehen. Der traditionelle Gewerkschaftsflügel, gepaart mit Genossenfilz und getränkt mit klammheimlichem Hurrapatriotismus ist eine hoffentlich aussterbende Spezies innerhalb der SPD, die gemeinsam mit den klassischen Altindustrien abgewickelt gehört.
Kann SPD-Chef Scharping das? Nach dem, was er bisher geleistet hat, ist Skepsis noch der mildeste Ausdruck dessen, was ihm angesichts der Aufgabe entgegengebracht wird. Allerdings hat er seit Sonntag eine neue Situation: Das Bleigewicht aus Düsseldorf ist leichter geworden. Jürgen Gottschlich
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