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■ Die Nato will zukünftig eine globale Rolle spielen. Dafür fehlen alle Regularien. Abhilfe könnte ein Nato-Parlament schaffenErkundungen im rechtsfreien Raum

Es ist Zeit für ein Nato-Parlament. Bisher wurde eine solche Institution zu Recht wenig vermißt. Denn jahrzehntelang war die Nato ein simples Verteidigungsbündnis. Es galt das Prinzip, wer ein Mitgliedsland militärisch angreift, bekommt es auch mit den anderen zu tun. Alles sonstige, einschließlich der Außenpolitik, blieb nationale Angelegenheit.

Das war leicht verständlich und entsprach gleichermaßen dem Fairneß- wie dem Sicherheitsbedürfnis großer Bevölkerungsmehrheiten. Wirklich umstritten waren nur die Details der Mittel, mit denen die Abwehr eines eventuellen Angriffs erfolgen sollte, ob also Vorwärtsverteidigung oder strukturelle Nichtangriffsfähigkeit gelten solle.

Heute ist die Lage fundamental verändert. Die Entwicklung der letzten Jahre hat zu einer schleichenden Ausdehnung des Auftrags geführt und sich nun auch formell in der Verabschiedung einer neuen Nato-Doktrin niedergeschlagen. Diese enthält eine gleich zweifache Aufhebung bisher geltender Grenzen. Einmal wird die Möglichkeit zu weitgehenden weltweiten Einsätzen eröffnet. Zum zweiten wird auf die früher akzeptierte Selbstbeschränkung durch eine vorherige UN-Autorisation einer internationalen Gewaltanwendung verzichtet.

Das ist ein Vorstoß in einen unbekannten, weitgehend noch rechtsfreien Raum. Von den Gesetzen der Mitgliedsstaaten ist keine Limitation zu erwarten. So sieht etwa weder die amerikanische Verfassung noch das deutsche Grundgesetz Fälle wie die Bombardierung Belgrads vor. Für militärische Eingriffe unterhalb einer formellen Kriegserklärung ist keine Vorsorge zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit getroffen.

Während in deutschen Landen jede noch so banale Verwaltungsentscheidung von einer unabhängigen Judikative daran gemessen wird, ob sie mit den langfristigen Zielen dieser Gesellschaft übereinstimmt, dürfen zur Zeit deutsche Soldaten in fremden Ländern massivste Zerstörungsakte ohne erkennbare Verfassungsbeschränkung ausüben.

Auch von der Seite der nationalen Politik ist eine direkte Kontrollfunktion nur schwach erkennbar. Vielleicht mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, die sich als Führungsmacht eine etwas offenere Diskussion erlauben, geht sonst die Bündnistreue über alles. In ihrem Namen wird jede vorherige progammatische Festlegung gebrochen. So enthielt der rot-grüne Koalitionsvertrag die ausdrückliche Vereinbarung, daß das Gewaltmonopol der UNO stets zu beachten sei. Noch nicht mal im Amt – so ein Dossier der Zeit – , wichenSchröder und Fischer davon ab, in dem sie eine deutsche Beteiligung an einem Kosovo-Einsatz auch ohne Sicherheitsratsbeschluß zusicherten.

Westliche Gesellschaften, deren Grundprinzipien das Militärbündnis doch verteidigen will, sind durch eine Verschränkung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geprägt, durch ihre Gleichursprünglichkeit, mit Habermas geprochen. Nicht immer stimmt beides spannungsfrei überein. Aber noch schlimmer ist es, wenn in einer zentralen politischen Dimension weder der eine noch der andere Pfeiler sicher besteht. Abhilfe schüfe die Einrichtung eines Nato-Parlaments und, darauf später aufbauend, eines Nato-Gerichtshofs. Legitimität durch Verfahren nennt Luhmann die heilsame Funktion fester, spezialisierter Institutionen für den inneren Frieden und die Rechtssicherheit. Im einzelnen gibt es folgende Vorteile:

Erstens hätten Bürger die Möglichkeit, in einer abgegrenzten Politikdimension eine besondere Entscheidung zu treffen. Die Wahl einer Partei für ein Nato-Parlament könnte unabhängig von der Entscheidung bei der Wahl für sonstige Volksvertretungen getroffen werden. Stimmensplitting – zum Beispiel für eine isolationistische Position in der Außen- und Militärpolitik, aber für einen interventionistischen Ansatz in der Wirtschafts- und Umweltpolitik – wäre unproblematisch.

Zweitens eröffnete ein besonderes Parlament die Chance der präziseren Meinungsrückkoppelung. Erfolgreiche Politik mißt sich in Demokratien vor allem danach, daß in Wahlen ihre Vertreter bestätigt werden. Im Fall des Kosovo-Konflikts ist dagegen völlig unklar, wie eigentlich die Wähler ihre Meinung hierzu wirksam kundtun sollen. Statt dessen dürften von einigen Bürgern Stellvertretergelegenheiten, wie zum Beispiel die jetzt anstehende Wahl des EU-Parlaments, dafür genutzt werden, von anderen aber nicht. Politiker bleiben somit im dunkeln über die Akzeptanz ihrer Handlungen und Wähler unzufrieden über mangelnde Einflußmöglichkeiten.

Drittens würde ein Nato-Parlament eine effektivere Kontrolle der Militärs erlauben. Problematische Entscheidungen, wie die Auswahl und Ausweitung der gegenwärtigen Bombardierungen, müßten in Zukunft vor einem fachkundigen Haus von Volksvertretern detailliert begründet werden. Strukturell falsche Politik könnte von dort durch Abwahl der Führungsspitze geahndet werden.

Viertens fände eine wirklich faire Lastenaufteilung statt. Einem Parlament müßte natürlich eine Besteuerungshoheit zugesprochen werden. Da alle Mitgliedsstaaten ähnliche Systeme der Mehrwertsteuer kennen, ist das unproblematisch umzusetzen. Die Nato erhöbe dann zum Beispiel fünf Prozent von den Verkäufen in allen ihren Staaten, und die stete amerikanische Klage über europäische Knickerigkeit würde gegenstandslos. Dafür nähme die Klarheit zu, was militärische Aktionen beziehungsweise kriegsverhindernde Außenpolitik eigentlich jeweils kosteten.

Fünftens könnten die als gemeinsam für wichtig angesehenen Anlässe für Eingriffe von den umstrittenen leichter getrennt werden. Alle Demokratien kennen erhöhte Hürden für Entscheidungen in Zentralfragen. Hier müssen dann etwa Zweidrittelmehrheiten zustande kommen, und/oder es ist die Zustimmung mehrerer Kammern nötig. Einen solchen Schutz vor Schnellschüssen könnte auch ein Nato-Parlament bei der Abstimmung über militärische Out-of-area-Aktionen anwenden.

Sechstens zivilisierte es die eigenen Teilnehmerstaaten. Zwar wäre wohl kaum zu verhindern, daß von Ländern wie den USA oder der Türkei zusätzliche, eigene Interventionstruppen aufgebaut würden. Aber die Bevölkerungen dort dürften schon bald fragen, ob solche Sonderlasten wirklich gerechtfertigt sind.

Vielleicht sind nicht alle Rechte für eine Nato-Volksvertretung sofort zu erhalten. Auch das Europäische Parlament mußte und muß sich neue Einflußmöglichkeiten immer zäh erkämpfen. Aber nicht damit zu beginnen, machte auch aus unserer politischen Kultur einen langfristigen Kollateralschaden. Gerd Grözinger

Was fehlt, ist, mit Luhmann gesprochen, Legitimität durch Verfahren

Ein Nato-Parlament würde Klarheit schaffen – für Wähler und Politiker

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