■ Die Nato-Osterweiterung hat begonnen. Wo endet sie?: Auf nach Wladiwostok!
Es gibt Verträge, die mehr Probleme schaffen, als sie lösen, deren Konsens bereits den Keim neuer Zwistigkeiten in sich birgt. Die Vereinbarung, die gestern über die Nato-Osterweiterung getroffen wurde, gehört in diese Kategorie. Rußland hat, die Faust in der Tasche geballt, dem Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns zur Nato zugestimmt. Die wesentlichen Gegenleistungen, die Rußlands Außenminister Primakow aushandeln wollte, bleiben Moskau verwehrt. Kein Wunder: Rußland hatte stets die schlechteren Karten, weil die Nato von Beginn an klargemacht hatte, daß die Osterweiterung notfalls auch gegen seinen Willen durchgezogen wird.
So lebt die Zufriedenheit in Nato-Kreisen nach Moskaus gestrigem Ja von dem Unfrieden, den sie bei den anderen Beitritts-Aspiranten und in Rußland schürt. Denn der Preis für die partielle Stabilität ist eine gesteigerte generelle Instabilität, die ihrerseits neue Beitrittsbegehren weckt. Rumänien, Bulgarien, Estland, Slowenien... Dieser Prozeß wird letztendlich in eine neue konfliktträchtige Balance of Power münden oder in eine vollständige Integration aller Beteiligten – inklusive Rußlands. Primakows Frage, gegen wen sich denn ein Nato-Mitglied Rußland verteidigen sollte, war rhetorisch gemeint: Mit Moskaus Beitritt würde sich die Nato von einem Verteidigungspakt in ein System kollektiver Sicherheit verwandeln.
Eine solche Nato lehnen all jene ab, die, vor allem in Washington sitzend, mit der Osterweiterung nun einen späten Sieg im Kalten Krieg feiern. Er scheint aber auch denen undenkbar, die, vor allem in Europa auf den Oppositionsbänken sitzend, in der Nato ein transatlantisches Treuebündnis sehen oder denen die ganze Chose nicht paßt. Sie üben sich im kleinmütigen Lamento, beharren in selbstgefälligem „Ohne mich“ und weigern sich, ihre schönen Modelle eines europäischen Sicherheitssystems der normativen Kraft der Machtverhältnisse anzupassen.
Denn Verträge schaffen nicht nur Probleme, sondern auch Fakten. Der Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns wird nicht nur teuer und, so ist zu hoffen, strategisch sinnlos – er ist auch kaum revidierbar. Wenn im Juli die Nato-Staaten in Madrid endgültig die Beitrittsentscheidung fällen, ist allerdings der Zeitpunkt gekommen, das bisherige Salamiverfahren der Osterweiterung zu stoppen und den Endpunkt des Prozesses zu markieren. Und der kann nur in Wladiwostok liegen. Dieter Rulff
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