■ Die Nato-Bomben und Holbrookes Vermittlungserfolg: Frieden in Sicht?
Mit dem Abkommen über den Abzug der schweren bosnisch-serbischen Artillerie aus dem 20-Kilometer- Bereich um Sarajevo scheinen wir glücklich wieder im Jahr 1994 gelandet zu sein. Damals führte Mladićs Rückzug nach dem Nato-Ultimatum gerade nicht zur Aufhebung der Blockade. Wird sich jetzt das gleiche Spiel wiederholen? Vielleicht doch nicht.
Nach jahrelangem Zögern hat die Nato die Ermächtigung ernst genommen, die ihr mit der UNO- Resolution 838 im Juni 1993 in die Hand gegeben wurde – sie hat auf das Bombardement einer Schutzzone mit mehr als nur symbolischer Gewalt geantwortet. Völkerrechtlich ist klar, daß der Angriff auf serbische Stellungen berechtigt und unabhängig vom laufenden Friedensprozeß zu sehen ist. Aber politisch hängt er eben doch mit ihm zusammen. Systematische Angriffe der Nato auf das serbische Nordostbosnien hätten Milošević gezwungen, aus den Verhandlungen auszuscheren, und die russische Regierung vor die unangenehme Aufgabe gestellt, ihren Drohungen Taten folgen zu lassen. Aber auch die Nato wäre einer Zerreißprobe ausgesetzt worden. Mit Holbrookes Kompromiß können alle Beteiligten ihr Gesicht wahren. Aber ist er für Bosniens Regierung akzeptabel?
Offensichtlich haben sich die militärischen Kräfteverhältnisse in Bosnien-Herzegowina zugunsten der bosniakisch-kroatischen Koalition verschoben, und das nicht nur im Zuge der Nato-Bombardements. Die Rückeroberung Jajces und anderer Städte verbessert die Chancen, daß der 51:49-Territorialkompromiß doch noch eine praktikable Gestalt annimmt. Und die fast kampflose Räumung dieser Städte deutet darauf hin, daß die serbisch-bosnische Seite sie auf ihrer Landkarte schon vorher preisgegeben hat. Nur wenn die bosniakisch-kroatische Koalition auf einen vollständigen Sieg setzte, wäre die Furcht vor einer unabsehbaren Verlängerung und Ausweitung des Krieges berechtigt. Aber Izetbegović hatte seinerzeit den Vance-Owen-Plan angenommen. Er kämpft jetzt darum, daß Bosnien-Herzegowina als Staat überlebt und die Gebiete der kroatisch-bosniakischen Föderation eine funktionsfähige Einheit bilden. Die Teilung Sarajevos wäre mit beiden Zielen unvereinbar. Holbrookes neuer Kompromiß wird (hoffentlich!) den Menschen Sarajevos helfen. Aber weder das Nato- Bombardement noch seine Ergebnisse entscheiden darüber, ob ein halbwegs akzeptabler Frieden in Sicht kommt. Christian Semler
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