berliner szenen: Die Nacht noch gerettet
Ich lieg im Bett, ganz schläfrig, und eigentlich sollt ich auch schlafen; es ist nachts um eins. Aber irgendwas hält mich wach, und das ist auch gut so, sonst hätt ich nicht halbwegs nett „Hallo“ gesagt, als mein Telefon auf einmal klingelt. „Mir ist schlecht“, sagt meine Freundin. „Ziemlich doll. Kannst du kommen?“
„Jetzt?“, frag ich. Bei Notfällen soll man nicht fragen, sondern aufspringen, losrennen. Aber ich bin echt voll müde. Und ziemlich gut eingekuschelt dazu: Auf mir liegt eine Katze. Das hat sie bei der Katzensitterin gelernt, dass man als Katze auch auf Bäuchen liegen kann, und es ist prima. Die zweite Katze hat das nicht gelernt, liegt aber auf meinem Bein. „Ja, jetzt“, reißt meine Freundin mich aus den Katzengedanken.
„Okay.“ Ich schieb Katze eins vom Bauch, Katze zwei vom Bein, seufze. „Bin unterwegs. Zehn Minuten.“ Es sind dann eher zwanzig Minuten als zehn, aber schließlich bin ich doch bei ihr in der Wohnung. Gar nicht gut sieht sie aus, meine Freundin. Sie sitzt mit’nem Eimer vor sich auf dem Bett.
„Oh“, sag ich. „Keine Ahnung, was ist. Aber schwindlig ist mir auch.“
„Hinlegen?“, schlag ich vor. Das wär dann zwar doof, wenn sie kotzen muss, aber im Moment ist doch wohl der Schwindel das größere Problem. Sie legt sich hin und ich mich an sie dran. Und dann liegen wir, lauschen dem Schwindel, lauschen, ob’s besser wird. Es wird besser. Sie kotzt zwar einmal zwischendurch, aber so generell geht’s jetzt eher bergauf. „Danke, dass du gekommen bist. Ich zahl dir auch den Fahrschein“, sagt sie irgendwann. „Quatsch. Bin mit dem Rad. Und wär doch eh nur Kurzfahrstrecke.“
„Nee: Kotzfahrstrecke“, sagt sie und lacht. Damit ist die Nacht gerettet, denn wenn sie neue Wörter erfindet und lacht, ist das voll prima. Mindestens so prima wie Katze auf Bein und Bauch.
Joey Juschka
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