Die Musik zur Beerdigung: Wie willst du sterben?
Zum Abschied die Stranglers: Die Zusammenstellung "Final Songs # 1" versammelt Wunschlieder verschiedener Popkünstler, mit denen sie zu Grabe getragen werden wollen.
Sterben müssen wir alle. Bloß wie? Über aktive Sterbehilfe, Patientenverfügung und die letzten Fragen des Lebens wird viel diskutiert. In ganz neue ethische Dimensionen drang kürzlich Silvio Berlusconi vor. Um jeden Preis wollte der italienische Ministerpräsident das Leben seiner Landsfrau Eluana Englaro retten.
Nach 17 Jahren im Koma sollte die künstliche Ernährung der 38-Jährigen abgestellt werden - auf Wunsch der Angehörigen. Das wollte der fürsorgliche Landesvater per Dekret verhindern. Zur Begründung gab Berlusconi an, die Patientin könne ja theoretisch noch Kinder bekommen. Das wird Benedikt und seine Brüder nebenan gefreut haben. Eluana Englaro gelang es indes zu sterben, bevor Berlusconis Dekret in Kraft treten konnte.
Der Tod wirft Fragen auf. Dennoch kommt es eher selten vor, dass man seine eigene Beerdigung vorausplant. Dass man genau bestimmt, wie der Sarg aussehen soll, wer welche Reden hält und, vor allem, welche Musik zum Abschied erklingt.
Aus diesem Defizit haben die Leute von der Berliner Plattenfirma Get Physical eine hübsche Geschäftsidee entwickelt. Befreundete Musiker, Produzenten und DJs wurden gefragt: "Was soll dein letzter Song sein? Welche Musik soll bei deiner Beerdigung laufen?" Die versammelten Antworten sind jetzt auf Platte zu haben: "Final Songs # 1", weitere werden folgen, das Thema geht alle an.
Komische Dinge kommen einem in den Sinn, wenn man über Beerdigungsmusik nachdenkt. Ein Gedicht von Peter-Paul Zahl aus dem Deutschen-Herbst-Knast in den Siebzigern, seine Lage ist lebensbedrohlich nach etlichen Hungerstreiks gegen üble Haftbedingungen. Ich erinnere einen Satz, in etwa: "Zu meiner Beerdigung spielt was von den Doors." Oh Gott, Break on through to the other side? Zahl lebt noch, längst auf Jamaika, dort gibt es bessere Musik zum Sterben.
Das Grab von Jim Morrison auf dem Friedhof "Père Lachaise" in Paris ist immer noch Wallfahrtsort von Gottweißwem. Zahls Option mit den Doors folgt ganz zeitgemäß der antibürgerlichen, antiklerikalen Logik der Hippielinken: Bürger und Pfaffen schocken mit bösem Rock am Grab. Zugleich ist die Doors-Geste gefangen in der bürgerlichen Repräsentationslogik.
Sie erkennt die Beerdigung an als verbindliche symbolische Veranstaltung, bei der die verstorbene Person noch einmal in möglichst vorteilhaftem Licht für die Nachwelt hergerichtet wird. Bei der Beerdigung wird die Essenz dieser Person repräsentiert von einem Stück Musik: Mozarts Requiem geht immer, "Wir hatten einen Kameraden" bei Opa, "Break on through" bei Peter-Paul Zahl.
Aus anderen Kulturen kennen wir Trauerrituale, bei denen es weniger um die beschönigende Würdigung des singulären Verstorbenen geht und mehr um die Feier des (Über-)Lebens durch die kollektiv (Über-)Lebenden. Rund um New Orleans ist der Tod ein willkommener Anlass, eine Brass Band aufmarschieren zu lassen, wobei deren Vorstellung von Funeral mit der hiesigen von Beerdigung so viel zu tun hat wie ihre Vorstellung von Blasmusik mit unserem Radetzkymarsch.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Brass Bands mitunter schon mal durch die Straßen des French Quarter getrieben werden, ohne dass irgendwer gestorben ist. So lange nur genug Touristen Spalier stehen.
Die von westeuropäischen Pietätsvorstellungen unangekränkelte Variante der feuchtfröhlichen Todesfeier am offenen Grab ist auf der "Final Songs"-Sammlung unterrepräsentiert. Nur der britische Techno-Produzent Ewan Pearson entscheidet sich für einen Nach-mir-die-Trinkflut-Song. "Is that all there is?", lässt er die heisere Peggy Lee fragen: "Ist das alles gewesen? Wenn das alles ist, meine Freunde, dann lasset uns tanzen, macht die Flaschen auf und lasset uns feiern."
Beim besten Willen klappt das mit der ausgelassenen Party ja dann doch eher selten, jedenfalls am Grab. Dafür hat man den Leichenschmaus erfunden, gegen fettes Essen und flauen Magen gibt es Alkohol. In meinem Bekanntenkreis kam es vor, dass einer seine jung an Krebs gestorbene Frau beerdigte, um beim Leichenschmaus eine Affäre mit ihrer besten Freundin anzufangen. Man fand das merkwürdig, aber nicht ganz unangemessen. Die Musik dazu habe ich vergessen. "Is that all there is?" War es nicht.
Ansonsten dominiert bei den "Final Songs # 1" der ernste, hohe Ton. Etwa bei DJ T., der abtreten will zu Erik Satie und seiner "Gymnopaedie No. 1". Mit diesem Gassenhauer der dezenten Pietät beginnt die Sammlung. DJ T. alias Thomas Koch, der Gründer des Get Physical Labels, hatte vielleicht das Bedürfnis, dieses ambitionierte Projekt höchstpersönlich aufs richtige Gleis zu setzen: Sie hören nun ein musikalisches Geleitwort des Verlegers.
Saties x-mal adaptierter und gesampelter Trauerweiden-Evergreen empfängt die geneigten Hörer mit bittersüßer Bonjour Tristesse. Was folgt, ist ein äußerst abwechslungsreicher Todestrip durch die musikalischen Genres und Epochen: DrumnBass und Beach Boys, Techno und Inti Illimani, Disco und Radiohead, Ambient und Pharoah Sanders. Auf angenehme Art wirr ist das Ganze, weil man die Versuchsanordnung immer vor Augen hat: eine Trauergesellschaft auf dem Friedhof, salbungsvolle Reden, durchschaubare Notlügen, undurchschaubare Rituale und dann? Müssen alle über das Musik-Stöckchen springen, das ihnen hingehalten wird.
Die Musik wird zum Lackmustest der Trauersituation. In der Regel soll sie den Container spielen, möglichst viele verschiedene, heterogene Gefühlslagen unterschiedlichster Menschen unter einen Klanghut bringen, für drei, vier, fünf Minuten. Übergroße Erregung, Irritation, Ekstase und dergleichen soll diese Musik integrierend vermeiden, als Psychopuffer spielt sie in der Extremsituation Beerdigung die Rolle des sedierenden Pop-Format-Radios im Arbeitsalltag. Ausschaltimpuls vermeiden, Ausrastimpuls vermeiden.
Nun wollen aber immer mehr Leute mehr als sedierendes Popradio, auch auf dem Friedhof. Die Versuchsanordnung "Final Songs" repräsentiert quasi das Autorenradio auf dem Friedhof, mit allen Risiken. Hier denkt sich die Figur, die zum Zeitpunkt der Aufführung im Sarg liegt und leider nicht mehr mitbekommt, wie die Hinterbliebenen reagieren - die Sollbruchstelle des Versuchs - eine Musik aus, die das Gegenteil eines Containers ist: sie sagt vermeintlich Bedeutendes über den Dahingeschiedenen, sie polarisiert, sie beunruhigt, sie gibt der gar nicht homogenen Gemeinde der Trauernden Rätsel auf. Sie löst die Gemeinde auf in Individuen, jedes einzelne davon muss sich verhalten zu dieser individuellen Musik, kann sich nicht in den Container von Mozarts Requiem verkriechen.
Da kommen Fragen auf: Muss ich den schunkeligen Politfolk von Inti Illimani, der in den Siebzigern ermattende Chile-Solidaritäts-Teach-Ins musikalisch zu untermalen hatte, jetzt erträglich finden, nur weil Ricardo Villalobos sich mit Hilfe seiner chilenischen Herkunft vergewissert? Wo ich doch eigentlich sagen möchte: Villalobos, du bist viel besser als jede Chile-Folklore. Wie benimmt man sich in einer zugigen Trauerhalle zu einem nervösen Radiohead-Song, mit der der französische DJ Laurent Garnier in den Himmel schweben - oder zur Hölle zu fahren möchte ?
Der Mann mit dem Künstlernamen Hölle darf natürlich auch nicht fehlen. DJ Hell heißt ja eigentlich Hel(l)mut Gaier und wünscht sich zum Abschied die Stranglers. Selbststilisierte "Men in black". Ausgerechnet "Golden Brown", der letzte Walzer. "Dieser Song inspiriert immer zum Tanzen, sogar auf dem Friedhof", sagt Hell. Auch thematisch erweitert "Golden Brown" den Katalog der Beerdigungsmusiken. Es geht um Heroin.
Zwischen Hell und Paradise liegen gerade mal zwei Songs. Als einzige Künstlerin möchte die Pariser Produzentin Chloé zu ihrer eigenen Musik ins Jenseits hinübergleiten. "Paradise", das ist das innere Gefühl, wenn unsere Seelen nach dem Tod sanft entschwinden." Hm. Manchmal ist es einfach besser, wenn ambiente Musik ohne Worte auskommt. Denn man möchte gar nicht so genau wissen, wie zum Beispiel Chloé sich das Paradies vorstellt.
In den wenigen Sätzen, mit denen die Musiker ihre Auswahl begründen, ist die Rede von kosmischer Tiefe, Transzendenz, ewigen Kreisläufen, Inspiration und Atmosphäre. Bei aller (vermuteten) Kirchenferne erhebt doch wieder die Religion ihr hässliches Haupt. Aber dass die Musik oft klüger ist als diejenigen, die sie machen, das ist ja auch keine neue Erkenntnis. Im Leben wie im Tod. Amen.
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