■ Die Morde in Mölln werden Konsequenzen haben: Gewalt provoziert Gegengewalt
Nach etlichen Fehlversuchen hat es diesmal geklappt. Der Brandsatz hat gezündet, das Haus hat Feuer gefangen, und kein Zufall konnte verhindern, daß die Mörder zum Ziel kamen. Zwei Frauen und ein Kind sind verbrannt. Der Mord ereignete sich nicht in einer Stadt im ostdeutschen Braunkohlerevier, wo einer desillusionierten, verzweifelten Jugend angeblich die moralischen Maßstäbe abhanden gekommen sind – die Morde fanden im Westen statt, und zwar da, wo es am schönsten ist. Mölln liegt in der Holsteinischen Schweiz, die Luft ist dort so gut, daß die Fußballnationalmannschaft ihr ständiges Trainingsquartier am See eingerichtet hat. Das Elend der Welt erreicht Mölln allenfalls per Fernseher. Für die Jugend ist die Gegend zugegebenermaßen etwas langweilig, zur Unterhaltung muß man wohl bis Lübeck fahren. Langeweile als Entschuldigungsgrund?
In Rostock konnten die Möchtegern-Mörder wenigstens noch mangelnde Hygiene ins Feld führen, worauf werden die Killer in Mölln verweisen? Daß die türkischen Familien, deren Häuser in Flammen aufgingen, nach 30 Jahren nun endlich nach Hause gehen sollen? Daß sie lange genug am deutschen Wohlstand partizipiert haben, daß ihre gesellschaftliche Integration in den deutschen Volkskörper ja gerade das Heimtückische gewesen sei?
Es gibt Zeiten, in denen es sinnvoll ist, Erklärungen zu suchen, wenn daraus mehr folgt als wohlfeile Entlastungstheorien. Bisher ist das nicht der Fall. Während Rechtsradikale, Skinheads, Neofaschisten und wer immer sonst Deutschland „ausländerfrei“ machen wollen, systematisch den Kreis der Opfer ausweiten, bleibt diese Gesellschaft den Beweis schuldig, daß sie tatsächlich gewillt ist, Nichtdeutsche zu schützen. Das wird auf zwei Ebenen Konsequenzen haben: Ausländer, die es sich leisten können, werden aus Deutschland weggehen. Was sich unter anderem in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft bemerkbar machen wird. Andere werden versuchen, sich selbst zu schützen. Erste Voraussetzung einer zivilen Gesellschaft ist es, die körperliche Integrität ihrer MitgliederInnen zu gewährleisten, sonst verliert sie ihre Legitimität.
Gewalt provoziert Gegengewalt. Wer verhindern will, daß Angehörige ethnischer Minderheiten ihren Schutz selbst organisieren, muß jetzt bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Politik und Polizei sind entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, diesen Schutz zu übernehmen. Wer verhindern will, daß Selbstbehauptung in diesem Land zukünftig bewaffnet vor sich geht, sollte sich jetzt überlegen, wie aktive Nachbarschaftshilfe organisiert werden kann. Jürgen Gottschlich
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