■ Die Metall-Tarifparteien haben sich geeinigt: Streiken löhnt sich!
Gesamtmetall-Präsident Gottschol suchte gestern nach ausgleichenden Worten, um seine Klientel zu besänftigen. Die zweijährige Laufzeit des neuen Tarifvertrages in der Metallindustrie rechtfertige den Abschluß, auch wenn die materielle Belastung für die Unternehmen dadurch hoch sei, erklärte der Verbandschef. Wenn ein Arbeitgebervertreter so spricht, kann sich die Gewerkschaft freuen. Und tatsächlich: Die gestern erfolgte Einigung im Tarifstreit der westdeutschen Metallindustrie ist ein Erfolg nicht nur für die IG Metall, sondern auch die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Mit ihrem ureigensten Mittel, dem Streik, erlangte sie Satisfaktion für die Kränkungen durch die bescheidenen Tarifergebnisse im vergangenen Jahr. Der Streik hat sich „gelohnt“, und das ist buchstäblich zu verstehen.
3,4 Prozent mehr Lohn hat die IG Metall für die ersten zehn Monate dieses Jahres ausgehandelt. Danach gibt es noch einmal 3,6 Prozent obendrauf. Wer beispielsweise bis jetzt 5.000 Mark brutto verdient hat, bekommt erst 152 Mark, dann 170, vom November an schließlich 350 Mark mehr brutto im Monat. Das hört sich gut an und bedeutet zumindest vom November an für die Arbeitnehmer eine deutliche Erhöhung der Kaufkraft, trotz Solidarzuschlag, Pflegeversicherung und Preissteigerungen. Der wohlige Effekt kühlt allerdings im Laufe des kommenden Jahres ab, weil der nominale Lohnstand vom November diesen Jahres bis zum Ende 1996 gilt. Ziehen Konjunktur und Preise im kommenden Jahr steiler an, müssen sich die Beschäftigten dennoch mit dem Ist-Stand bescheiden.
Dem gegenwärtigen Erfolg für die Gewerkschaft tut das wenig Abbruch. Denn aufs ganze Jahr 1995 gerechnet, haben die Beschäftigten tatsächlich 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Die begehrte „4“ vor dem Komma ist für die IG Metall also erreicht. Und sogar mehr: Die 35-Stunden-Woche kommt pünktlich zum 1. Oktober, ohne daß die Arbeitszeitverkürzung spürbar auf den Abschluß angerechnet wurde.
Ohne den Arbeitskampf wäre eine solche Einigung nicht möglich gewesen. Das haben indirekt die Unternehmer eingeräumt, die ihre schnelle Kompromißbereitschaft vor allem mit dem Druck des Arbeitskampfes begründen. Das Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien scheint also wiederhergestellt. Zwischen den Tarifparteien, wohlgemerkt. Gesamtmetall-Chef Gottschol kündigt verstärkte Rationalisierungen in der Metallindustrie an. Der Beschäftigungseffekt durch die Einführung der 35-Stunden-Woche wird sich in Grenzen halten. „Die Leidtragenden des Abschlusses werden die Arbeitslosen sein“, droht Gottschol schon jetzt. Auch Lohnzurückhaltung allerdings hätte die Arbeitgeber nicht von Rationalisierungen abgehalten, wie die Vergangenheit zeigt. Die Einigung in der Metallindustrie bleibt also zwar ein Erfolg für die Beschäftigten. Probate Mittel im „Arbeitskampf“ der Erwerbslosen müssen dagegen noch gefunden werden. Barbara Dribbusch
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