Die Marktfrauen von Diyarbakır: Kein Marktplatz für Männer
Im Viertel Bağcılar in Diyarbakır haben Frauen das Sagen. Hier wurde 2013 der erste Frauenmarkt der Türkei eröffnet. Doch nun drängt Konkurrenz auf den Markt.
An einem kalten Montagabend in Diyarbakır schlagen 40 Frauen in einem kleinen Park im Viertel Bağcılar ihr Camp auf. Seit drei Wochen halten sie dort montags Wache und verteidigen den Platz gegen die Männer, die dort dienstags ihre Markt aufbauen wollen. Gegen elf Uhr taucht ein weißes Fahrzeug taucht auf und zieht langsam Runden um den Park. Die Frauen rufen wie aus einem Mund: „Buh!“ Im Wagen sitzen Markthändler, die ausloten, ob der Marktplatz, auf dem sie Gemüse verkaufen wollen, frei ist. Und das mitten im Frauenviertel. Eine der Frauen sagt: „Wenn die Männer hier einmal ihre Marktstände aufbauen, dann gehört der Platz ihnen.“
Das Viertel Bağcılar ist fest in der Hand von Frauen: 2013 startete die von Frauen regierte Kommunalverwaltung ein Pilotprojekt, um alleinerziehende Frauen mit geringem Einkommen zu fördern und eröffnete die erste Frauenmarkthalle der Türkei. Auf dem Jiyan Semt Pazarı verkaufen ausschließlich Frauen Obst, Gemüse und andere Lebensmittel. Die Anfänge waren nicht leicht: In Bağcılar leben ärmere Familien mit geringer Kaufkraft, hierher zogen viele Menschen, die gezwungen waren, aus den Dörfern in die Stadt abzuwandern.
„Früher gab es hier nicht einmal eine Bäckerei. Wir haben unser Brot von zu Hause zur Arbeit mitgebracht“, erzählt eine der Frauen, die den Park bewachen. Als die Frauen 2015 über mangelnden Umsatz klagten und eine nach der anderen aufgaben, unterstützte die Kommunalverwaltung von Bağlar sie dabei, auf wechselnden Märkten Stände aufzubauen. Samstags standen die Frauen in der Jiyan-Stadtteilmarkthalle, an den anderen fünf Wochentagen bauten sie ihren Markt an verschiedenen Stellen in Bağcılar auf.
Doch seit 2017 haben es die Männer auf Bağcılar abgesehen, das sich in den vergangenen Jahren zum aufstrebenden Viertel entwickelt hat. Die Neubauten im Stadtteil bezogen zahlreiche Angestellte und Polizisten, die in der Region arbeiten. Auch aus dem nach den Kämpfen zwischen dem Militär und kurdischen Aufständischen nahezu komplett zerstörten Altstadtviertel Sur kamen viele, die ihr Haus verloren hatten. Mit 115.000 Einwohner*innen avancierte Bağcılar zum Viertel mit der höchsten Bevölkerungsdichte in der Türkei. Das Einkommensniveau in Bağcılar liegt inzwischen deutlich höher als in anderen Vierteln im Bezirk Bağlar. Dadurch wurde das Viertel auch für die männlichen Händler attraktiv. 2017 eröffneten auch sie samstags in Bağcılar ihren Markt, nun wollen sie zusätzlich am Dienstag ihre Stände aufbauen.
Der Umsatz sinkt durch die Konkurrenz der Männer
Dass nun auch männliche Händler versuchen, in der Gegend Fuß zu fassen, stellt die Frauen vor existenzielle Probleme. Denn die Männer haben Lastwagen, mit denen sie direkt bei den Produzenten billiger einkaufen können. Da sie auch keine Transportkosten zahlen, können sie ihre Produkte günstiger an die Verbraucher*innen bringen. In Zeiten, in denen es mit der Wirtschaft in der Türkei bergab geht und die Gemüsepreise in astronomische Höhen steigen, zählen die Kund*innen jede Lira. Die Frauen sagen, ihr Umsatz sei durch die Konkurrenz der Männer um 30 Prozent gesunken. Um sich gegen den Einfluss der Männer zu wehren, organisierten sie sich und gründeten 2017 den Solidaritäts- und Unterstützungsverein der Markthändlerinnen.
Güler Deniz ist an diesem Montagabend zum ersten Mal bei der Parkwache dabei. Die 34-jährige Volkstanzlehrerin steht jeden Tag um fünf Uhr morgens auf, geht zum Gemüsegroßmarkt, kauft dort von Großhändlern Obst und Gemüse, bringt sie zum Markt und baut ihren Stand auf. Anschließend geht sie zum Unterricht in die Schule. Letzte Woche, erzählt sie, sei sie die Auberginen nicht losgeworden, weil sie zu teuer waren. Sie musste die Auberginen-Schulden beim Großhändler mit ihrem Lehrerinnengehalt begleichen. Die mit der Inflationsrate um ein Vielfaches gestiegenen Preise für Obst und Gemüse führten dazu, dass die Regierung landesweit städtische Lebensmittelstände eingerichtet hat, wo pro Person in beschränkter Menge günstig Gemüse verkauft wird. Die Bürger*innen stehen dort in langen Schlangen an. In Diyarbakır aber gibt es diese staatlich regulierten Verkäufe nicht.
„Nicht nur Auberginen, auch Fisch werden wir kaum noch los. Die Wirtschaftskrise hat den Markt diesen Winter heftig getroffen, die Leute haben kein Geld mehr in der Tasche“, sagt die Fischhändlerin Nurdan Saltık, die mit den anderen im Park Wache haltenden Frauen im Kreis sitzt. Saltık ist um einiges älter als Güler Deniz, sie könnte ihre Mutter sein. Sie sagt, viele kauften nicht mehr kiloweise ein, sondern grammweise. Ihre Wangen sind von der Kälte gerötet, sie verknotet ihr Kopftuch im Nacken und spricht weiter: „Zweimal in der Woche sollten sie Fisch essen, aber jetzt holen sie ihn nur noch einmal im Monat. Unser Tagesumsatz ist diesen Winter um die Hälfte eingebrochen.“
Parkwache unter Polizeischutz
„Es gibt Leute, die kaufen nur zwei Spitzpaprikas“, ergänzt Zahide Tolan. Die Mutter von sechs Kindern wendet sich an die anderen Frauen und fragt: „Ich verdiene überhaupt nichts, verdient ihr was?“ Sie zieht die Brauen zusammen und wartet auf die Antwort, die sie schon kennt. Keine sagt etwas. „Wäre ich nicht selbst Händlerin, käme das teure Gemüse bei mir gar nicht mehr auf den Tisch“, fährt sie fort zu klagen. Eine andere Frau hakt sie unter und spricht ihr Mut zu: „Es ist immer noch besser, als zu Hause zu sitzen. Sitzt du zu Hause, verlierst du jede Hoffnung. In der Wirtschaftskrise leiht dir keiner auch nur eine Lira.“
Als Verein mit 110 Mitgliedern fordern die Frauen Gespräche mit offiziellen Stellen. Doch die Zuständigen werden sich mit den Kommunalwahlen am 31. März ändern, die amtierende Bürgermeisterin von Bağlar, Birsen Akat, tritt nicht mehr an. Bis dahin wollen die Markthändlerinnen jede Montagnacht in dem Park Wache halten, um sich gegen die Konkurrenz der Männer zu wehren. Vergangene Woche versuchten männliche Markthändler gegen Morgen auf den Platz zu kommen und Stände aufzubauen, bei dem entstehenden Handgemenge wurden drei Ordnungspolizisten verletzt.
Für diese Woche hat die Vizebürgermeisterin des Bezirks Bağlar, Pervin Ayli Yağız, Unterstützung von der Polizei erbeten. Es gibt zwar keine Verpflichtung, nach der im Rahmen des Frauenprojekts nur Frauen im Viertel Bağcılar Marktstände aufbauen dürfen. Um aber Frauen mit geringem Einkommen zu unterstützen, will Yağız bis zu den Wahlen keine männlichen Markthändler zulassen.
Widerstand leisten ist schön
Jede halbe Stunde patrouillieren ein gepanzertes Polizeifahrzeug und der Minibus der Ordnungspolizei um den Park, sie tauchen den Park in blaues und rotes Licht. Zwei ältere Markthändlerinnen sitzen weiter hinten auf einer Bank, die Beine in eine Wolldecke gehüllt, hören sie den Gesprächen zu. Die eine, die unter der Decke offensichtlich friert, sagt: „Widerstand leisten ist eine schöne Sache“ und legt ihrer Sitznachbarin den Kopf auf die Schulter. Für sie wird es Zeit zu gehen. Ältere und kranke Frauen verlassen die Wache nach und nach, zurück bleiben vier ledige Frauen. Sie zünden ein Feuer an und setzen sich ringsum.
Die Stunden schreiten voran, es wird kühler. Mittlerweile sitzen die vier ausharrenden Frauen nebeneinander auf einer Bank und reden darüber, wie sie den Frauenkampftag am 8. März begehen wollen. Volkstanzlehrerin Güler Deniz unterbricht die Überlegungen zu den Feiern und erinnert daran, dass sie Fotos von der Wache in den sozialen Medien posten müssen: „Auch da kontrollieren die männlichen Markthändler ja, ob wir noch hier sind und Wache halten.“
Da taucht erneut ein Wagen auf. Sofort hält das patrouillierende Polizei-Fahrzeug am Straßenrand. Auch aus der anderen Richtung kommt ein Wagen der Ordnungspolizei, sie nehmen den auf den Platz zuhaltenden Wagen in die Zange. Die Polizei holt die darin sitzenden Markthändler heraus und erklärt ihnen, sie werde nicht zulassen, dass sie hier Marktstände aufbauen. Die vier Frauen sind erleichtert. Für ein, zwei Stunden gehen nun auch sie nach Hause. Nach kurzem Schlaf kehren die Frauen noch vor Sonnenaufgang in den Park zurück, um nachzuschauen, wie es um den bewachten Platz steht. Die Polizei hat den Markthändlern nicht gestattet, Stände aufzubauen. Güler Deniz atmet auf. Jetzt kann sie sich daran machen, ihren eigenen Stand aufzubauen, und danach zum Unterricht in die Schule gehen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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