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Archiv-Artikel

Die Männer zuerst

Ab nach Afghanistan: Innenminister beraten heute über Abschiebungen ins Krisenland. Nach Hamburg will auch Niedersachsen kommende Woche beginnen, Flüchtlinge nach Kabul auszufliegen

Von Eva Weikert

Nach Hamburg will jetzt auch Niedersachsen mit der Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan beginnen. Vom 1. Juli an werden alleinstehende Männer, die seit weniger als sechs Jahren hier leben, in das kriegszerstörte Land ausgeflogen. Das bestätigte Klaus Engemann, Sprecher von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der taz. Unterdessen mahnt das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) dringend Einzelfallprüfungen an. Von stabilen Verhältnissen in Afghanistan könne keine Rede sein. Die Kabul-Abschiebungen stehen auch auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz (IMK), die heute zu Ende geht.

In Hamburg lebt die afghanische Gemeinde seit Monaten in Angst vor Abschiebungen und Familientrennungen. Innensenator Udo Nagel (parteilos) hat stets betont, baldmöglichst mit Massenabschiebungen beginnen zu wollen – auch ohne Länderkonsens. Als einziges Bundesland weist Hamburg schon seit Ende des Abschiebestopps am 30. April nicht mehr nur Straftäter aus. Der CDU-Senat betreibt aktuell die Abschiebung alleinstehender Männer zwischen 18 und 60 Jahren, die nach dem 24. Juni 1999 gekommen sind.

Damit durchbreche der Senat einen IMK-Beschluss vom November, warnte kürzlich die Hamburger Grüne Antje Möller in einem Brief an den IMK-Vorsitzenden, Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU). Zugleich forderte die Abgeordnete eine Neubewertung der Situation vor Ort: „Die desaströse soziale Lage und zunehmende Gewalt verschlechtern die Sicherheitslage.“ Auch das UNHCR berichtet, die militärischen Auseinandersetzungen hielten an. Massenarbeitslosigkeit, Nahrungsnot und schwere Mängel im Gesundheitssystem beherrschten den Alltag.

In der IMK-Schublade liegt seit dem Winter ein Bleiberechtsentwurf für Afghanen, die länger als sechs Jahre hier sind, seit zwei Jahren Arbeit haben und nicht von Sozialhilfe abhängen. Alle anderen seien auszufliegen, sobald ein Rückführungsabkommen zwischen Kabul und Berlin geschlossen ist, vereinbarten die Minister zuletzt. In Hamburg wären von 15.000 Afghanen ein Drittel betroffen. In Niedersachsen sollen 700 Menschen ausreisen, in Schleswig-Holstein 600. Doch den Vertrag mit Kabul über deren Rückkehr gibt es bis heute nicht. Hamburgs SPD wirft dem Senat deshalb vor, „isoliert vorzupreschen“ und „mit der Brechstange durch die Gemeinde zu jagen“.

Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) erwartete, dass sich CDU- und SPD-Innenminister auf der IMK auf einen Abschiebestart einige. Afghanistan brauche dringend „junge Leute, die in ihrer Heimat wichtige Aufbauarbeiten leisten können“. Kiel setze aber auf ein bundeseinheitliches Vorgehen.

Der Alleingang des Nachbarn Hamburg war aus Senatssicht wenig erfolgreich: Zwar werden wöchentlich Dutzende Betroffene vorgeladen. Weil sie Asylanträge stellten oder die Flüge ausgebucht waren, ist seit Mai aber erst eine Abschiebung erfolgt. Erst am Mittwochabend schlug wieder ein Versuch fehl: Die Maschine Frankfurt-Kabul war schon angerollt, als sie zurückgerufen und der Betroffene heraus geholt wurde. Der Anwalt des 21-Jährigen hatte als letztes Mittel eine Petition in die Bürgerschaft eingebracht – mit Erfolg. Denn der Mann ist Azubi in einer EU-Maßnahme, aus der heraus nach Absprache mit Brüssel nicht abgeschoben wird.