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Archiv-Artikel

Die Macht steht ihnen wie angegossen

Rot-Grün, wir danken dir (3): Mit Schröder und Fischer hielt die Kunst der Inszenierung Einzug in die deutsche Politik

„Sage über Tote nichts, es sei denn: Gutes“, lautete einst eine römische Maxime. Nun hat die rot-grüne Regierung wenig Gutes, wohl aber einiges Schöne gebracht. Sprechen wir darüber.

Die rot-grüne Episode begann strahlend nach der Ära des hässlichen Helmut Kohl. Sie endet nun mit der – wie formuliert man es höflich? – wenig ansehnlichen Angela Merkel. Für Kohl hat man sich ein wenig geschämt; auf Schröder war man ein wenig stolz. Gerhard Schröder und Joschka Fischer wirkten wie zwei Kumpel aus studentenbewegten Zeiten, viele Wähler hätten sie wohl gerne persönlich kennengelernt. Bei Merkel, Stoiber und Westerwelle ist man dankbar, durch die Mattscheibe abgeschirmt zu sein.

Mit Rot-Grün rückte die Rubrik human interest ins Zentrum der politischen Berichterstattung: Es ging um Brioni-Anzüge und Havanna-Zigarren, getönte Haare und Adoptivkinder, um Turnschuhe und Farbbeutel, den diätetischen Kampf gegen die Nebenwirkungen des Hedonismus und das Joggen zu sich selbst. Schröder und Fischer imponierten als Womanizer und machten der postmodernen Gesellschaft die sequenzielle Polygamie als Statussymbol vertraut. Man vergleiche damit nur das traurige Erscheinungsbild eines Edmund Stoiber, der ständig stottert, oder des ewigen Gymnasiasten Westerwelle.

Das für deutsche Verhältnisse völlig neue grandiose Auftreten der deutschen Spitzenpolitiker kam nicht von ungefähr. Rot-Grün hat nicht nur durch spin doctors und Werbeagenturen zu einer raschen Amerikanisierung des Wahlkampfes beigetragen, sondern ein resolutes branding der Politik vollzogen. Der Spitzenpolitiker wurde zum Markenartikel. Was Soziologen impression management nennen, funktionierte bei Schröder und Fischer von Anfang an: die Macht stand ihnen gut. Ob auf internationalem Parkett oder in der Talkshow, ob bei Gottschalk oder Christiansen: Sie machten eine gute Figur.

Auch Beckmesser müssen einräumen, dass die rot-grünen Chefs wenngleich schwach in Ökonomie, so doch stark in Egonomie waren. Und das genügt im Medienzeitalter. Im Fernsehen entscheidet nämlich nicht die kommunikative, sondern die expressive Kompetenz. Das hat die Anhörung des Außenministers vor dem Visauntersuchungsausschuss noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt: Joschka Fischer als Meister des Bußrituals – und die Unfähigkeit der Opposition, ihn „vorzuführen“. Noch einmal durften wir Arroganz als Kunstform bewundern.

Schröder und Fischer entfalteten Charisma, weil sie ihre klein karierten Parteien auf Distanz hielten und mit ihren wohl inszenierten Auftritten die verkniffenen Gesichter in der zweiten Reihe überblendeten. Es hätte gar nicht der TV-Serie „Kanzleramt“ bedurft, um uns deutlich zu machen, dass das celebrity design der Unterhaltungsindustrie Einzug in die deutsche Politik gehalten hat. Seit Rot-Grün verkündete: „Regieren macht Spaß!“, sprechen wir ganz selbstverständlich vom Medienkanzler und seinem Politainment.

Rot-Grün hat uns eine Politik der Sympathiewerte beschert: Medienpräsenz, Demoskopie und Design schienen wichtiger als die so genannten Sachfragen. Und offenbar funktionieren Umfragewerte in der Politik genau so wie Preise in der Wirtschaft. Wie war ich, Doris? Doch sobald alle Parteien die gleichen Ziele verfolgen, ist eine radikale Personalisierung der Politik unvermeidlich. Dabei lautet die zentrale Einsicht: Denken kommt nicht gut im Fernsehen. Zur Mediendemokratie gehört die gefühlte Politik.

2002 hat unser bedingungsloser Pazifismus genügt, um Rot-Grün an der Regierung zu halten. Für die vorgezogenen Neuwahlen hofft Schröder vielleicht auf unsere Ehrfurchtssperre vor dem Begriff „soziale Gerechtigkeit“. Wenn er scheitert, wird er sich wohl damit trösten, seiner Zeit voraus gewesen zu sein. Doch ein Politiker, der seiner Zeit voraus ist, ist ein schlechter Politiker. Am Ende hat Rot-Grün das große Dilemma moderner Politik verspürt: Man weiß fast alles – und kann fast nichts tun.

Schröder hätte ein deutscher Tony Blair werden können, wenn eine deutsche Maggy Thatcher zuvor für ihn aufgeräumt hätte. Stattdessen kommt nun nach ihm Angie Merkel. Und wem hier schwarz vor Augen wird, der spürt wohl, dass damit die Generationenherrschaft der 68er zu Ende geht. NORBERT BOLZ