: Die Macht der Lichterketten
■ „Zeig's der Einheit“: die Alternativfeier zum Bremer Einheitstag
„Zeig's der Einheit“ lautete am Sonntagabend das Motto im Schlachthof, aber die Einheit war schneller. Noch bevor ein Kabarettist etwas Kabarettistisches sagen konnte, erreichte die Anwesenden die Nachricht, daß soeben die Staatsmacht über Sielwall- und Lagerhaus gekommen war. Die üblichen Verdächtigen waren festgenommen und in die extra aufgestellten Einheits-Kerkercontainer geworfen worden, woraus sie erst zwei Tage später wieder ans Tageslicht entlassen werden sollten. Im Schatten dieser Ereignisse war es dann besonders mißlich, daß nur weniger der geladenen Künstler – zumeist altbekannte Quälgeister und Querdenker – wirklich etwas zum Thema „Tag der Einheit“ beizutragen, geschweige denn dem Pathos der offiziellen Feierlichkeiten etwas entgegenzusetzen hatten. Vom aufrührerischen Tonfall des „Einheiz“-Mottos war in den meisten Beiträgen jedenfalls nichts zu spüren.
Da wirkte das Programm der Magdeburger „Kugelblitze“ so harmlos, wie es eben tatsächlich war. Zu DDR-Zeiten befand sich die dort entstandene Kabarettgruppe im Dauerclinch mit der Zensur, heute wird sich von ihren Politiker- und Beamtenwitzchen kein Herrschender mehr auf den Schlips getreten fühlen. Wenn jemand sagt: „Die Treuhand ist toll!“ und dabei ordentlich mit den Augen rollt und die Stimme verstellt, damit jeder merkt, daß hier Ironie im Spiel ist, verwechselt man jenes allzu oft mit Satire und lacht. Ebenso ist Gelächter sicher, wenn eine kluge Klofrau Vergleiche zwischen Stuhl gang und Parteizugehörigkeit der Politprominenz aufstellt. Politik ist Scheiße, wissen wir. Nur eine Nummer über einen Chirurgen, der Nationen wie Organe am liebsten geteilt sieht, war wirklich gelungen. Ihre Botschaft sangen die „Kugelblitze“ dann zum Abschluß vor: Das mit dem Mauerfall war zwar okay, aber darüber sollte man das Denken nicht vergessen.Origineller präsentierte sich eine Dia-Show zum Thema „Das Einheitsmensch“ von Carl-Heinz Otto Schäfer. Der Künstler kommentierte seine Bilder von Gartenzwergen und Bratwürsten etwas langatmig, erreichte aber gerade dadurch oft den Charme eines Helge Schneider.
Nach Rockstarmanier verspätet und umjubelt, waren die lesenden „Titanic“- Autoren erwartungsgemäß die Rettung des Abends. Gerhard Henschel erzählte genüßlich von der Ekeligkeit des Landlebens im guten, alten Schlesien und zeigte damit, daß zumindest das „gut“ zu relativieren ist. Wiglaf Droste wurde mit einem erbosten Zwischenruf getadelt, weil er u. a. gegen fanatische Veganer wetterte. Droste, das „ arrogante Arschloch“, habe „gar nichts verstanden“. Dabei war es der Zwischenrufer, der gar nicht verstanden hatte, daß gute Satire in alle Richtungen austeilen muß und erst richtig gut wird, wenn sie aufhört, den eigenen Moralkodex zu umschmeicheln. Günther Willen wirkte derweil etwas deplaziert mit seine amüsanten Fußballpolemiken. Andererseits hatte seine Weigerung, etwas zum „Einheits“-Thema zu Gehör zu bringen, natürlich Klasse.
Zum Schluß sangen Henschel und Droste die Licherkettenfassung von „Blowing in the Wind“, in gebrochenem Deutsch, richtig schön zum Mitsingen für alle. Waren die kritischen Geister an diesem Abend etwa doch ein einig Volk?
Andreas Neuenkirchen
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