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Archiv-Artikel

Die Macht der Familie

Glanz und Elend der amerikanischen Ostküstenelite im vergangenen Jahrhundert: Louis Auchincloss’ großartige „Manhattan Monologe“

Kaum etwas sagt mehr über die amerikanische Oberschicht aus als die Tradition, den Sohn nach dem Vater zu nennen und dem Namen zur Kennzeichnung ein „Junior“ beizufügen. „Jr.“ ist die Kurzformel für Glanz und Elend des Clan-Glamours. Denn die Familientradition stärkt den Sohn, aber sie beraubt ihn auch der Möglichkeit, sein Leben unabhängig zu gestalten. Er bleibt der Junior, für immer getrieben vom Schatten des übermächtigen oder schwachen Vaters.

Der 1917 in New York City geborene amerikanische Schriftsteller Louis Auchincloss hat in „Die Manhattan Monologe“ zehn Geschichten über Anpassung und Rebellion versammelt. Seine Protagonisten stammen aus jenen alteingesessenen angelsächsischen Familien, die in den demokratischen USA die Aristokratie ersetzen. Ihr abgeschirmtes Leben findet zwischen französischen Stilmöbeln und in Landhäusern im Country-Stil statt. Ein streng geteiltes Universum, in dem die Männer, zumeist Anwälte oder Bankiers oder Reiche qua Herkunft, in exclusiven Clubs Geschäftsabsprachen treffen und die Frauen beim nachmittäglichen Cocktail Ehen arrangieren.

Bei Louis Auchincloss erzählen Frauen und Söhne von den Deformierungen in einer Familienordnung, die ihnen nur Schablonen lässt: als guter Sohn, als gute Schwiegertochter oder Ehefrau. In der ersten Geschichte erzählt ein „Junior“ von seinem lebenslangen Kampf, den Erwartungen des Vaters zu entsprechen. Dieser ist Kriegsveteran, Großwildjäger und Gentleman, ein unerreichbares Vorbild. Seine Ängste kann der schmächtige Junge lange vor dem Vater verstecken. Sogar die Schreckstarre auf einer Safari deutet sein Vater als Kaltblütigkeit. Erst als der Sohn sich für den in Europa tobenden Ersten Weltkrieg beurlauben lässt, verliert der Vater den Respekt. Vollard, Jr. muss von nun an mit dem Wissen leben, dass er ein Mann ist, „der Angst hatte, in den Krieg zu ziehen“. Und seine Mutter macht ihm klar, dass „der Mann, den sie wirklich bewunderte“, sein Vater ist, nicht er – und wer weiß, vielleicht verachtet ihn ja auch seine Frau heimlich als Feigling?

Die Frauen wiederum erzählen andere Geschichten: von der erfolgreichen Ehe mit einem erfolgreichen Diplomaten, die die Tochter nur aus Schuldgefühlen gegenüber dem toten Vater geschlossen hat. Oder vom Komplex der Innenarchitektin, dass sie nur mit Hilfe der Geschäftskontakte ihres Mannes zu Geld und gesellschaftlicher Anerkennung kommen konnte.

Bitterer noch ist die frisch und selbstbewusst erzählte Geschichte einer vermurksten Eheanbahnung, durch die die Mutter das Leben einer jungen Frau zerstört, vielleicht auch das ihres Sohnes. Von ihrem Selbstbild als charmante, gewandte Society-Lady mag sie trotzdem nicht lassen. Was vielleicht am meisten verstört, ist die Zeitlosigkeit dieser Lebensbeichten, die von der vorletzten bis zur letzten Jahrhundertwende reichen, vom „alten New York“ bis zur Gegenwart. Übermächtig, scheint es, ist die Gravitationskraft der Familie, der schwarzen Materie, von der keiner von Louis Auchincloss’ Protagonisten sich letztlich befreien kann. Louis Aunchincloss schreibt über eine Welt, zu der er selber gehört: Die Auchincloss, eine schottische Familie, sind Teil der Ostküsten-Elite. Louis Auchincloss arbeitete als Anwalt an der Wall Street. Allerdings schrieb er seit 1947 auch Romane, Erzählungen und Essays, insgesamt fast sechzig Veröffentlichungen, von denen übrigens kaum ein deutscher Verlag bisher Notiz nahm. Das dürfte sich jetzt, nach der Veröffentlichung der „Manhattan Monologe“, ändern.

Vermutlich weil diese Monologe das Produkt einer langen Lebens- und Schreiberfahrung sind, balancieren ihre Erzähler so gekonnt zwischen Plauderton, Bericht und eingestandenen Demütigungen und Lebenslügen: Auchincloss’ Geschichten machen das Schwere leicht. So leicht, dass man über manchen emotionalen Abgrund hinwegliest, um Sekunden später noch mal ungläubig die letzte Zeile zu suchen. „Die Manhattan Monologe“ zu lesen ist ein zartbitteres, herbstliches Vergnügen, wie am Kamin sitzen und in alten Fotoalben blättern. ULRIKE MEITZNER

Louis Auchincloss: „Die Manhattan Monologe“. Aus dem Englischen von Angela Praesent. DuMont Literatur, Köln 2006, 266 Seiten, 19,90 Euro