■ Die Linke mauschelt mit Berlusconi: Ach, armes, verratenes Italien
Immer, wenn Italiens Intellektuelle und Chronisten größeres Unbehagen vor einer Entwicklung empfinden, greifen sie zum Fremdwort. So war es bei der „Ostpolitik“, die den Südländern unheimlich erschien und die sie bis heute mit dem deutschen Wort bezeichnen; so kam auch der „blind trust“ in die Diskussion, mit dessen Hilfe Berlusconi eine angebliche Trennung seiner wirtschaftlichen Interessen von seinen Amtsaufgaben bewerkstelligen wollte. Und so ist es nun wieder. Angesichts einer Annäherung, die man bis vor kurzem noch für völlig ausgeschlossen hielt, spricht man allenthalben von „Feeling“, und dieses entwickelt sich mit zunehmender Intensität zwischen dem mächtigen Chef der Linksdemokraten, Massimo D'Alema – und seinem politischen Erzfeind Silvio Berlusconi.
Die beiden spielen sich derzeit geschickt die Bälle zu, mal in Sachen Wahlgesetz, mal hinsichtlich neuer „Spielregeln“ für kommende politische Auseinandersetzung, mal wegen des gleichwertigen Zugangs aller politischen Gruppen zu den Massenmedien und auch im Hinblick auf eine Zähmung der noch immer munter gegen Mächtige ermittelnden Staatsanwälte.
Italien vor einer neuen Aufteilung der Macht und der Pfründen? Sieht alles danach aus: D'Alema ist sich klar, daß die Rechte, solange sie vereint ist, keine echte, regierungsfähige linke Regierung zulassen wird; umgekehrt hat sich Berlusconi damit abgefunden, daß ein Durchmarsch wie Anfang 1994, als seine Forza Italia aus dem Stand zur größten Fraktion des Parlaments wurde, nicht wiederholbar ist. Beide, D'Alema und Berlusconi, wissen auch genau, wie wackelig ihr eigenes moralisches Ansehen ist: Beide müssen ständig mit Nachforschungen eifriger Staatsanwälte rechnen, der eine als Chef eines der größten Wirtschaftsunternehmen, der andere als Leiter einer nicht minder großen und minder auf Profit ausgehenden Politgruppierung. Und beide gelten als eiskalte Taktiker und Machtmenschen. Mit ihnen hält man es in Italien wie in der Renaissance-Zeit mit den berühmten „Condottieri“: Solange diese Heerführer Siege brachten, jubelte man ihnen zu. Kaum stockte der Vormarsch, warf man sie hinaus.
In einer solchen Situation liegt natürlich die Absprache nahe – wie schon Ende der 80er Jahre, als der berühmte „CAF“ entstanden war, die Achse Craxi – Andreotti – Forlani, damals respektive Chef der Sozialisten, Ministerpräsident, Sekretär der Christdemokraten. Genau diese scheinbar unaufbrechbare Machtallianz war es, die die Mailänder Untersuchungsrichter um den Staatsanwalt Antonio di Pietro dann aufs Korn nahmen und regelrecht liquidierten, was das gesamte Kartell der politischen Kräfte zum Einsturz brachte.
Doch nun, kaum vier Jahre nach den ersten Schlägen gegen das System und dem Beginn der „samtenen Revolution“, kündigt sich das neue Kartell an, machtbewußt und auf mittlere Sicht kaum aufzuhalten. Die Gegenkräfte sind faktisch inexistent – und auch das hat mit der umsichtigen Vorbereitung des „Feeling“ der beiden Oberherrscher zu tun.
Rechts hat sich der Chef der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, durch einen Moment menschlicher Schwäche eine Blöße gegeben, die im unbarmherzigen Politgeschäft unverzeihlich ist: Nach den Regional- und Kommunalwahlen vom Frühjahr, bei denen seine Partei nicht mehr zugenommen hat, war Fini zunächst abgetaucht und hatte auch danach seine Enttäuschung nicht schönzureden versucht, sondern zugegeben. Seither schießt Berlusconis Wadenbeißer Giuliano Ferrara aus allen Rohren auf den einst treuesten Verbündeten Berlusconis.
Auf der linken Seite tritt Fausto Bertinotti, Generalsekretär der Rifondazione comunista, mit markigen Klassenkampfparolen auf. Doch selbst Blinden fällt auf, wie sich die Forderungen Bertinottis und Berlusconis gleichen – von einer Verschiebung des Wahltermins über die Aversion gegen den mühsam ausgehandelten Rentenkompromiß der Regierung bis zu einer ausgetüftelten Strategie zur Vermeidung eines echten Antitrustgesetzes. So auffällig, daß sich eifrige Rechercheure bereits daran gemacht haben, der merkwürdigen Geldvermehrung der Linksaußenpartei nachzuspüren, die es fertigbringt, mit knapp fünf Millionen Mark Einnahmen sowohl die auf vier Millionen veranschlagten Ausgaben für den Parteiapparat abzudecken wie die acht Millionen, die die Umwandlung des vormaligen Wochenmagazins Liberazione in eine Tageszeitung gekostet hat. Daß Berlusconi-nahe „Spender“ hier eingegriffen haben, leugnet Bertinotti mürrisch – ein gutes Drittel seiner Gefolgsleute im Parlament will das allerdings nicht glauben und ist inzwischen zur gemischten Fraktion übergewechselt.
In seinem Hang, mit Berlusconi das neue Italien unter sich aufzuteilen, hat Linksdemokratenchef D'Alema mittlerweile auch jenes gute Stück geopfert, das sich in den letzten Jahren als letzte funktionierende Bastion der Demokratie erwiesen hat – die Rechtsprechung. Es sei Zeit, die Dinge zu „normalisieren“, tönte er in einem Interview, „die Zeit des Notstands“ sei schließlich vorbei, und damit könne jede der demokratischen Gewalten wieder die ihr zugewiesene Rolle übernehmen – soll heißen, daß es mit den Prozessen gegen Potentaten in Politik und Wirtschaft ein Ende haben muß, damit wieder „regiert werden kann“. Eine Wortwahl, die fatal an jene Botschaften erinnert, die Regierungen wie die des mittlerweile mafioser Umtriebe angeklagten siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti jeweils an die Mafia und Camorra aussandte, um ihnen zu signalisieren, daß sie wieder in Ruhe ihre Geschäfte betreiben können.
Nun kann man natürlich durchaus über Exzesse in den strafrechtlichen Ermittlungen debattieren. Doch eine diesbezügliche Reform läßt sich auch leise und sachlich durchführen, ohne großes Spektakel. Doch D'Alema setzt derzeit unentwegt Zeichen, und der Schlag gegen die Justiz ist für Berlusconi wohl das wichtigste. Der nächste Schritt wird zweifellos eine Amnestie sein, offen oder verhüllt, von der D'Alema auch selbst profitieren könnte. Bedrohlich nähert sich nämlich eine Anzahl oberitalienischer Ermittler bei ihren Recherchen über Scheingründungen von „Roten Kooperativen“ (zum Zwecke illegaler Mittelakquirierung) dem ehemaligen KP-Hauptquartier in Rom, wo seinerzeit D'Alema als stellvertretender Parteisekretär auch in Sachen Finanzen in alle Affären eingeweiht sein mußte.
Italien, Europas einziges Land, das bisher den Sumpf sogenannter „demokratischer“ Korruption ernsthaft zu bekämpfen versucht hat, hätte wahrlich etwas Besseres verdient, als erneut in die Hände von Machtmauschlern zu fallen. Werner Raith
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