: Die Liebe mit weichem U
Traurige Geschichten von Langzeitstudenten und Feierabendfreaks: Im Magnet lösten I Am Kloot die Mär vom „Quiet is the new loud“ in einem zeitlosen Rocksound auf
Damals waren sich alle einig. Nachdem vor zwei Jahren das so genannte New Acoustic Movement ausgerufen worden war und die Kings of Convenience mit „Quiet Is The New Loud“ den dazugehörigen Slogan geliefert hatten, ordnete sich das ansonsten recht unübersichtliche Feld des britischen Independent-Pop wie von Zauberhand: Travis oder Coldplay wurden zu den Vorläufern dieser melancholischen Bewegung erklärt, Sonderlinge wie Badly Drawn Boy einfach eingemeindet und Bands wie Turin Brakes an die Spitze gestellt.
Auch I Am Kloot durften sich damals mit ihrem Debüt „Natural History“ einreihen, blieben vom großen Erfolg jedoch verschont. So konnten sie in aller Ruhe eine zweite Platte aufnehmen, die den eigenen Namen im Titel trägt, auf welche die Musikpresse jetzt aber eher verhalten reagierte.
Der harte Kern der Indierockgemeinde, dem eine solide Randständigkeit noch immer Ausweis musikalischer Qualität ist, mag so etwas natürlich, und so wird es voll an diesem Abend im Berliner Magnet-Club. Ausverkauft, und alle sind da: die T-Shirt-Fraktion und die Parkaträger, die kettenrauchenden Mädchen, die 1,67 Meter großen Gelegenheitskiffer und die dreißigjährigen Jungs, die sich mit dem Out-of-Bed-Gel ihrer Freundin ein paar Haarsträhnen über die Geheimratsecken gestruwwelt haben. Und alle bemühen sich, eine Spur desinteressiert zu wirken. Bis John Bramwell, Gitarrist und Sänger, die Bühne betritt.
„This is a song about love, insanity and desaster“, sagt er und zupft die ersten Töne von „Twist“. Auch wenn man es schon einige Mal erlebt hat, ist es doch immer wieder verblüffend, wie sich abgeklärte Bescheidwisser innerhalb weniger Sekunden in Menschen verwandeln, die sich auf der Stelle von einem jungen Mann mit einem northern accent das Herz aus der Brust reißen lassen würden.
It’s luve, not love: Auf den Straßen von Hyde, einem Vorort von Manchester, hat John Bramwell gelernt, die Liebe mit einem weichen „u“ zu buchstabieren, und während er mit seiner Gitarre durch Paris und San Francisco getingelt ist, hat er genug traurige Geschichten über das Leben in verrumpelten WG-Zimmern gesammelt, um Langzeitstudenten und Feierabendfreaks gleichermaßen zu überzeugen: „We fuck and fight, someone else does the dishes“. Das kann hier jeder mitsingen.
Es ist ein Abend der großen Gefühle, eine gute Stunde Best of vom ersten und zweiten Album. I am Kloot erzählen vom „drinking desaster“, vom Wunsch nach einem „tragic death“ und von den traurigen Runden, in denen das Gelächter so laut wird, das keiner mehr die Pointen versteht.
Die metapherngesättigte Melancholie – dunkle Sterne, tiefes Wasser, und „there’s storm coming“ – drücken Bramwell, Pete Jobson und Andy Hargreaves ihren Zuhören mit so viel Kraft in den Magen, dass sich die ganze Mär vom „quiet new loud“ in einen ganz und gar zeitlosen Sound auflöst.
„Rock ’n’ Roll, Baby“, schlägt einer der Gelegenheitskiffer zwischen zwei Stücken vor. „Only the German get through with this“, sagt John Bramwell schulterzuckend und bestätigt am Ende seinem Publikum, die „coolest motherfuckers“ zu sein, denen er und seine Band bisher begegnet sind.
Begeisterung, zwei Zugaben, und dann stolpern sie alle zurück auf die Straße.
Ein Weile steht dann jeder für sich. Und träumt im blauen Licht seines Handydisplays davon, dass zu Hause irgendjemand in der Zwischenzeit das schmutzige Geschirr abgewaschen hat.
KOLJA MENSING