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■ Bücher.kleinDie Leugner

Jenseits des Trubels um den Deckert-Prozeß ist nahezu unbemerkt die deutsche Übersetzung einer amerikanischen Monographie erschienen, die einen Gesamtüberblick über die weltweite Szene der Leugner des nationalsozialistischen Massenmords an den europäischen Juden bieten will. Für Europäer ziemlich überraschend beginnt die Historikerin Deborah Lipstadt ihr chronologisch angelegtes Werk mit amerikanischen Geschichtsfälschern in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, die in ihrer Polemik gegen den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg so weit gingen, daß sie die Kriegsschuld Deutschlands verneinten.

Diese Protagonisten eines ohnehin stark in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelten Isolationismus garnierten ihre Geschichtsbetrachtungen auch mit antisemitischer Hetze, dabei nicht nur finanziell unterstützt von Persönlichkeiten wie Henry Ford und Charles Lindbergh. Später agitierten diese Kreise gegen die Aufnahme von Juden, die vom Nazi-Terror bedroht waren, und gegen die amerikanische Politik im Zweiten Weltkrieg.

Unmittelbar nachdem die Massenmorde in den deutschen Vernichtungslagern bekanntgeworden waren, setzte bereits das Relativieren, Abschwächen und Leugnen dieser Verbrechen ein. Deborah Lipstadt schildert anschaulich und kompetent anhand von mehr oder weniger bekannten Holocaust- Leugnern die Entwicklung von primitiven, zumeist schon vordergründig antisemitischen Machwerken hin zu sich wissenschaftlich gebenden Schriften wie dem „Leuchter-Report“. Die internationalen Verbindungen der Revisionisten werden gezeigt, ihre Hintermänner, Argumentationsmuster und Propagandatricks bloßgelegt.

Bei der Schilderung der deutschen Revisionisten- Szene offenbart die Autorin allerdings einige Lücken: Beispielsweise Christophersen, Stäglich und Walendy bleiben unerwähnt.

Kritik fordert auch die deutsche Übersetzung heraus: Neben Wortungetümen wie „amoralische Äquivalenzierung“ fällt unter anderem unangenehm auf, daß eine Rede Himmlers direkt aus dem Amerikanischen übersetzt wurde, anstatt die entlarvende Sprache des deutschen Originals zu verwenden.

Trotzdem ist das Buch gerade angesichts der derzeitigen Diskussion hierzulande wichtig. Durch eine größere Sensibilisierung der Öffentlichtkeit könnten auch Entwicklungen wie in den USA verhindert werden. Vor einer Talkshow wurden dort die ZuschauerInnen aufgefordert, am Apparat zu bleiben, denn nach der Werbung würden sie erfahren, ob der Holocaust „Märchen oder Wahrheit“ sei ... Dietmar Adam

Deborah E. Lipstadt: „Betrifft: Leugnen des Holocaust“. Rio-Verlag, Zürich 1994. 319 Seiten, 44 DM

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