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Archiv-Artikel

Die Leiden der Anderen

Phil Collins stößt die Teilnehmer seines Kunstprojekts in genau die Schrecken, denen sie entkommen wollten. Seine Installation „The return of the real“ steht in der Münsteraner Ausstellungshalle

VON KATJA BEHRENS

Ist es wichtig, zu wissen, ob das Che Guevara-Tattoo, das der britische Künstler am rechten Arm trägt, echt ist? Also echt gestochen und echt gemeint. Oder wird mit dem Abwaschen des Abbilds auch die politische Gesinnung gewechselt? Macht das einen Unterschied?

In der Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst in Münster geht es um diese vermeintliche Wirklichkeit und Wirksamkeit der Bilder – und über die künstlerische Ausbeutung ihrer Re-Inszenierung. Der in Glasgow lebende britische Fotograf und Videokünstler Phil Collins (37) zeigt in einer eindrucksvollen Großinstallation eine beklemmende Reality-TV-Interview-Situation. „gercegin geri dönüsü / the return of the real“ heißt die Arbeit, die im Rahmen der 9. Istanbul-Biennale 2004 entstand und 2006 in Bilbao in der „sala rekalde“ gezeigt wurde.

Menschen, die einmal an einer solchen TV-Show im türkischen Fernsehen teilgenommen haben und nun davon überzeugt sind, „dass ihr Leben durch ihren Fernsehauftritt ruiniert wurde“, werden ein zweites Mal eingeladen, um über ihre Erfahrungen zu sprechen. Die Protagonisten in Collins Multi-Media-Installation „berichten über ihr ungutes Gefühl, von den Privatmedien benutzt worden zu sein.“ Sie ahnen nur höchstens vage, dass mit ihnen gerade damit etwas ganz Ähnliches geschieht. Vor der laufenden Kunst-Kamera geben sie allerhand preis, erzählen bereitwillig und fast von selbst von den schrecklichen Momenten ihres Lebens, von Erinnerungen an den strengen Vater oder die grausame Entführung durch den Ex-Gatten. Sie berichten von ihren Anstrengungen, ein Star zu werden und den Schwierigkeiten es zu bleiben und sie berichten davon, wie es war, diese Geschichten im Fernsehen zu erzählen.

In einem kleineren Ausstellungsraum ist auf einem Fernsehbildschirm die den Interviews vorausgehende Pressekonferenz in einem Istanbuler Nobelhotel zu verfolgen, wo alle Mitwirkenden die Gründe ihrer Teilnahme an dem Zwillings-Projekt erläutern konnten. Alles sieht schick aus und wirkt wohl professioneller und freundlicher als die Original-Show. Jedenfalls hören die Teilnehmer nicht auf, auf Türkisch ihre Dankbarkeit und ihr Vertrauen in die lauteren Absichten des Künstlers zu bekunden. Aber es gibt Untertitel. An der gegenüberliegenden Wand hängen Hochglanz-Fotografien ihrer zurechtgemachten Gesichter: Glänzend vom Make-Up und strahlend vor Erwartung, sich jetzt „richtig“, nämlich wie gewünscht, öffentlich präsentieren zu können.

Die Projektionen der einstündigen Einzelinterviews imitieren auf sich gegenüberliegenden Großleinwänden die Gesprächssituation. Die Tonspuren überlagern sich, es ist laut und die Situation nie gänzlich zu überblicken. Alles ist ziemlich schrecklich, es wird laut geweint und geseufzt. Doch wohin mit dem Mitleid? Der ferngesteuerte Interviewer heuchelt professionell Anteilnahme. Die Rolle des Künstler-Regisseurs ist mindestens ambivalent. Die Rolle der BetrachterInnen inmitten dieses Gefühls-Tsunamis ebenso. Die scheinbar empathielose Inszenierung ist vor allem wohl als Spiegel einer zynischen Gesellschaft und ihrer fragwürdigen Vergnügungen gemeint. Einer Gesellschaft, die Menschen mit hohlen Versprechungen in eine demütigende Situation lockt und sich darüber erhebt, dass diese auch das Offensichtliche nicht begreifen: Dass ihr Leben durch andere Dinge ruiniert wurde und dass ihr Geltungsdrang und ihre Einsamkeit sie nur ein zweites Mal in die Arme einer höhnischen Öffentlichkeit treiben.

Im Museum ist diese Öffentlichkeit das Kunstpublikum, das sich sozial und intellektuell weit jenseits der Big Brother-Community ansiedelt, gleichzeitig aber in diesem Image und seinem System der Selbstkonstruktion ebenso gefangen ist wie die von den Medien kolonisierten Menschen, die es beobachtet. Der Unterschied ist eben nicht so groß wie gerne geglaubt wird. Übrig bleibt das Unbehagen an der eigenen Rolle in dieser re-inszenierten Inszenierung und seine Transformation in die Kunst.

Bis 26. August 2007 Infos: 0251-4924100