: Die Lehren aus '68?
■ Gymnasium lud altlinken Neurechten wieder aus
Soll man die Verfechter rechtsradikaler Positionen zu Worte kommen lassen oder nicht? Mit dieser Frage hatte sich gestern Harald Frey, Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Harburg, auseinanderzusetzen. Anlaß: Die Philosophie-AG hatte den Privatdozenten Reinhold Oberlercher zu einer abendlichen Diskussion eingeladen. Thema: „Die Lehren aus 68“. Oberlercher, ehemaliges Mitglied des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), schien ein geeigneter Gesprächspartner.
Allerdings hat der einst als „linksmilitaristisch“ bekannte Studentenführer inzwischen eine ideologische Wandlung durchgemacht. Oberlercher gelte als Kopf der sogenannten „Neuen Rechten“ und vertrete „offen eine faschistische Diktatur in Deutschland“, hatten die „Hochschul-Antifa“ und das „Harburger Bündnis gegen Rassismus“ herausgefunden und zur Protestkundgebung vor der Schule aufgerufen. So soll Oberlercher zuletzt im Januar '93 in der Zeitschrift „Staatsbriefe“ ein Hundert-Tage-Programm für eine fiktive Notstandsregierung in Deutschland vorgestellt haben, in der er Zwangsarbeitslager, die standrechtliche Erschießung von Drogendealern und ein Arbeitsverbot für Ausländer fordere. Es sei unerträglich, daß dieser „faschistische Hetzer“ öffentlich vor Schülern sprechen darf, heißt es in einer Pressemitteilung der Hochschul-Antifa. Man fordere die sofortige Absage der Veranstaltung und disziplinarische Maßnahmen gegen das verantwortliche Lehrpersonal.
„Unser Ziel ist es, aufzuklären und zu sensibilisieren gegen das, was von Rechts kommt“, sagt Frey. Gerade in einem Stadtteil wie Harburg, wo die Republikaner im Bezirksparlament sitzen, sei eine Auseinandersetzung dringend geboten. „Wir möchten unseren Schülern deutlich machen, daß das, was dort vertreten wird, in sich logische Brüche hat.“ Allerdings seien ihm die extremen Positionen Oberlerchers bis gestern nicht bekannt gewesen. „Sollten solche Thesen vertreten werden, werde ich die Veranstaltung abbrechen.“
Die Philosophie-AG veranstaltet regelmäßig Diskussionsabende mit Politikern. Streit hatte es im Februar schon einmal gegeben, als der Burschenschaftler Heiko Pätzmann eingeladen wurde.
„Erziehung zur Mündigkeit setzt voraus, daß man sich mit Positionen auseinandersetzt“, sagt Schulbehördensprecher Ulrich Vieluf, der den Weg der direkten Konfrontation der Harburger Pädagogen „mutig“ findet. Allerdings liege die Verantwortung für den Abend nicht bei der Behörde, sondern bei der Leitung der Schule.
Diese sagte die Veranstaltung im Laufe des Tages schließlich doch noch ab. Frey zur taz: „Die zu erwarteten Störungen wären so groß gewesen, daß der Sinn der Veranstaltung nicht mehr gegeben wäre.“ Kaija Kutter
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