piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Kurzzeit-Rebellin

Harper Regan ist Anfang 40, Ehefrau, innerlich erstarrt und die Hauptfigur in dem gleichnamigen Drama des Autors Simon Stephens. Wo der Ausbruch aus ihrem Leben hinführt, ist jetzt am Hamburger Schauspielhaus zu sehen

Als ihr klar wird, dass sie Grenzen überschreitet, greift sie zur Lederjacke. Harper, Anfang 40, Mutter und Büroangestellte, hat den Vorort verlassen, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Sie ist unterwegs zu ihrem Vater, der im Sterben liegt. Sie hat niemandem Bescheid gesagt, sondern ist einfach abgehauen. Weil ihr der Arschloch-Chef nicht freigeben wollte. Und weil ihr Familienleben so starr und frostig ist wie die Gletscher, die ihre Tochter in der Schule durchnimmt.

Die Lederjacke hat Harper einem Typen abgenommen, der sie in einer Bar angebaggert hatte. Die Lederjacke trägt sie auch, als sie sich mit einem unbekannten Herrn zum anonymen Sex in einem Hotelzimmer trifft. Danach sitzt sie in der Lederjacke bei ihrer Mutter. Den Vater hat sie nicht mehr getroffen. Harper hat alles hinter sich gelassen.

Harper ist zur Rebellin geworden. Trotzdem wirkt sie eigenartig unbeteiligt auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses, als wüsste sie schon vor dem Beginn ihrer Reise, wo sie am Ende wieder ankommen würde: zu Hause nämlich. Wo sie zu ihrer Tochter sagt: „So funktioniert eine Ehe nun mal. So was passiert. Es reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Man berappelt sich wieder. Man macht weiter.“

Schlicht „Harper Regan“ hat der britische Dramaturg Simon Stephens sein Stationendrama genannt, das nun am Hamburger Schauspielhaus Premiere hatte. Es ist nach „Pornographie“ das zweite Stück von Stephens, das hier gezeigt wird. „Pornographie“ hatten die Hamburger als Auftragswerk bei Stephens bestellt und in Kooperation mit dem Schauspiel Hannover auf die Bühne gebracht. Es war ein großer Erfolg bei den Kritikern und beim Publikum. Daran will der Hamburger Intendant Friedrich Schirmer durch eine weitere Zusammenarbeit mit Erfolgsautor Stephens anknüpfen.

Mit dieser Inszenierung von „Harper Regan“ wird das allerdings schwierig werden. Harper wird gespielt von Martina Gedeck, und die mag in Filmen wie „Das Leben der Anderen“ und „Der Baader Meinhof Komplex“ beeindrucken – im Schauspielhaus nun tut sie das nicht. Ihre Harper ist eine gutmütige, ruhige und leicht naiv wirkende Frau, bei der man ein Bedürfnis nach einer persönlichen Tabula rasa so gar nicht vermuten würde.

Regisseur Ramin Gray inszeniert die Geschichte in pseudo-realistischen Kulissen mit kleinen Zutaten, die der Deutung harren. Da ist zum Beispiel der Spiegel, der dann verschwindet, als Harper aufhört, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen. Und da ist die Lederjacke: Harper zieht sie aus, als sie wieder zu Hause ist. Um weiterzumachen wie bisher. KLAUS IRLER

nächste Vorstellungen: 4. und 10. 10., 20 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus