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Archiv-Artikel

„Die Kritik muss konstruktiv sein“

Umweltaktivisten in China leben gefährlich, sagt Lo Sze Ping von Greenpeace in China. Sie kämpfen vor allem mit Problemen auf lokaler Ebene. Eine öffentliche Demonstration gegen die Zentralregierung in Peking wäre undenkbar

taz: Herr Lo, kürzlich wurde der Bauer Fu Xiancai von Unbekannten verprügelt, nachdem er in einem Interview mit dem ARD-Fernsehen die geringe Entschädigung für umgesiedelte Anwohner des Dreischluchtenstaudamms kritisiert hatte. Wie gefährlich leben Umweltaktivisten in China?

Lo Sze Ping: Es gibt in China mutige Aktivisten, die immer wieder viel riskieren, um sich Gehör zu verschaffen. Aktivisten im Südwesten kämpfen gegen Dämme in der Provinz Yunnan. Sie erregen die Aufmerksamkeit der Medien und es gelang ihnen, den Premierminister von einem Moratorium und einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu überzeugen. Es gibt also Spielräume.

Welche Protestformen werden geduldet?

Ich würde nicht von Protest sprechen. Es geht um Kommunikation mit Behörden und Medien.

Kritik muss also immer konstruktiv sein?

Ja. Da die Regierung über Projekte entscheidet, kommt es darauf an, die Perspektive der Regierungsleute zu verändern. Dies geht durch öffentliche Debatte, durch die Veranstaltung von Seminaren und durch Medienberichte, wo alternative Sichtweisen gezeigt werden. Zumindest in Peking gibt es Menschen, die offen sind und wissen wollen, welche Maßnahmen noch nicht ausgereift oder schädlich sind. Probleme gibt es eher auf lokaler Ebene, wenn Kader persönlichen Profit vor das öffentliche Interesse stellen oder gar korrupt sind.

Welche Tabus gibt es?

Es bleibt unrealistisch, eine öffentliche Demonstration gegen eine Politik der Regierung zu organisieren. Andererseits ist es möglich, mit Hilfe Betroffener Daten zu sammeln, einen Bericht zu schreiben, diesen Medien zu präsentieren und Hinweise zu geben, was verbessert werden kann. Die Medien können bei Dingen, die nicht als völlig sensibel gelten, recht frei berichten. Weil Greenpeace unabhängige Untersuchungen macht, haben wir in China in den letzten 18 Monaten viel Aufmerksamkeit bekommen, zum Beispiel bei Pestiziden in Lebensmitteln.

Früher fürchteten Aktivisten Repressionen der Behörden. Wie der Fall Fu zeigt, müssen sie heute auch Schläger fürchten.

Das ist eine gefährliche Entwicklung. Kein Gesetz in China erlaubt es, Leute zu verprügeln. Wir sind auf die Sicherheitsbehörden angewiesen, solche Gewalt von Gangstern zu unterbinden, doch schützen uns auch die Medien.

Wie beeinflusst das die Arbeit von Greenpeace in China?

Unsere Mitarbeiter werden gelegentlich bedroht, wenn wir lokalen Umweltverbrechen nachspüren. Zum Glück wurde bisher niemand von uns verprügelt.Länder wie China, Indonesien, Brasilien oder Papua Neuguinea sind ökologische Frontstaaten und nicht mit Deutschland zu vergleichen. In China sagen wir, eine Revolution ist keine Einladung zum Bankett. Es geht um sensible wirtschaftliche und soziale Fragen. Damit machen wir nicht alle Leute glücklich, sondern fordern manche heraus.

Welche Rolle spielen ausländische Medien, Organisationen oder Regierungen für Chinas Umweltaktivisten?

Da gibt es keine Patentlösung. Ausländische Medien operieren zwischen zwei Welten. Sie schreiben Artikel für Leser in einer westlichen Demokratie, recherchieren aber in China, das ganz anders ist. Journalisten wollen so viel wie möglich herausfinden. Doch nicht immer können lokale Aktivisten riskieren, alles zu erzählen. Journalisten müssen zu ihren Lesern wie ihren chinesischen Informanten loyal sein. Viel hängt vom Kontext und dem Einzelfall ab.

Im Fall Fu war den Journalisten nach eigenen Angaben das Risiko bewusst. Deshalb fragten sie noch einmal nach. Doch Fu wollte in dem Beitrag genannt und gezeigt werden.

Einige Menschen sind sehr verzweifelt und haben ihrer Meinung nach keine andere Wahl, als das Risiko einzugehen und jeden Kanal zu nutzen. Fu war sehr mutig und die Journalisten haben nichts falsch gemacht. Wir können die Konsequenzen nicht immer absehen. Risiken bleiben.

Können Aktivisten in China die unterschiedlichen Interessen auf verschiedenen Ebenen, etwa der Zentralregierung in Peking und der Provinzregierungen oder der Kommunen, für sich nutzen?

Macht die Zentralregierung eine gute Politik, sollten wir ihr helfen, diese lokal durchzusetzen. Verbietet ein Gesetz die Abholzung ursprünglicher Wälder, sollte dies keine Lokalregierung und keine Firma machen dürfen. Decken wir aber auf, dass der indonesische Konzern APP in Yunnan illegal Holz schlägt, interessiert das auch die Regierung in Peking. Umweltschützer habe hier die Rolle von Wächtern.

Gibt es mit Peking also keine Interessenkonflikte?

Das lässt sich nicht verallgemeinern. Die Umwelt-, Forst- oder Gesundheitsministerien sind für unsere Anliegen offener als das Wirtschaftsministerium.

Interview: SVEN HANSEN