■ Die Krise in Brasilien zeigt, wie anfällig das globale System ist: Die Grenzen der Marktfreiheit
Die 90er Jahre gehen vielleicht als Dekade der Globalisierung in die Geschichte ein. Vielleicht aber auch – und das steht mit der Verflechtung der Weltwirtschaft in engem Zusammenhang – als Dekade globaler Finanzkrisen. Erst schreckte Mexikos Krise 1994. Der nächste, nachhaltigere Schock folgte 1997, als fast ganz Ostasien in die Krise rutschte. Letztes Jahr kam Rußland dazu. Und nun Brasilien.
Die Krisen brechen immer aus, wenn die Regierungen ihre überbewerteten Währungen, seien es Peso, Baht, Rubel oder Real, langsam und kontrolliert abwerten wollen. Theoretisch eine vernünftige Maßnahme, denn die Exportwirtschaft wird so wettbewerbsfähiger, die Einnahmen können steigen, die Zinsen gesenkt werden. Theoretisch. Was tatsächlich passiert, ist meist nur psychologisch erklärbar. Die wirtschaftliche Entwicklung fast aller Schwellenländer hängt in extremem Maße von ausländischem Kapital ab. Kapitalanleger wollen vertrauen. Regelmäßig werden sie von Panik ergriffen, wenn eine Abwertung stattfindet. Mit der einsetzenden Kapitalflucht aber verlieren die Regierungen die Kontrolle über die Wechselkurse. Ihre Devisenreserven verpulvern sie vergeblich zur Stützung der Währung, die meist kurzfristigen Schulden können nicht refinanziert werden, und schon ist die Finanzkrise perfekt. Der IWF schnürt gemeinsam mit der besorgten US-Regierung immer noch größere Kreditpakete – 41,5 Milliarden Dollar waren es für Brasilien –, ohne die verängstigten Anleger zu beruhigen. Denn im Vergleich zu den Summen, mit denen gegen Währungen spekuliert werden kann, bleibt das immer ein Klacks.
Wenn jetzt mit Brasilien tatsächlich ein weiteres Land in den globalen Finanzkrisenstrudel gerissen wird, könnte das Dogma, daß maximale Freiheit des Kapitalverkehrs maximalen Nutzen für alle Erdteile bringt, ins Wanken geraten. Vielleicht erkennen die schwächeren Länder ihre Rolle, und vielleicht kommt das eine oder andere zum Schluß, sich zumindest teilweise wieder abzuschotten.
Vielleicht aber werden ja im letzten Jahr dieser Dekade schon die wirtschaftlichen Konturen der nächsten erkennbar. Die Advokaten des grenzenlosen Kapitalismus geraten in die Defensive, die Rufe nach einer neuen globalen Finanzarchitektur werden auch in den Industrieländern lauter. Gerade tourte der japanische Ministerprident Keizo Obuchi durch Euro- Land und propagierte, ähnlich wie Oskar Lafontaine, ein neues Weltwährungssystem mit Dollar, Yen und Euro als Anker. Nicola Liebert
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