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„Die Kollegen sind noch zu erschöpft“

Eine Aktionswoche der Gewerkschaft CGT gegen den Sozialabbau in Frankreich brachte kaum Leute auf die Straße. Die anderen Gewerkschaften sind derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Wo sind sie geblieben, all die Eisenbahner, die Lehrer, die Müllwerker und all die anderen kämpferischen Franzosen, die ihr Land im Dezember komplett lahmlegten? Sechs Wochen nach dem historischen Streik waren es gestern zum Ende einer Aktionswoche gegen den Sozialabbau nur ein paar tausend Menschen, die in Paris gegen die Sparpläne der Regierung von der place de la République bis zur Opéra marschierten. Ähnlich war auch die Tendenz am Vortag in den Provinzstädten gewesen, als zahlreiche Demonstrationen nur ein paar zigtausend Menschen auf die Straße gelockt hatten.

Die kommunistische Gewerkschaft CGT, die während des Dezemberstreiks die stärkste Organisation gewesen war, hatte allein zu der Aktionswoche mobilisiert, bei der an jedem Tag eine andere Berufsgruppe zu Streiks und Demonstrationen gegen den Juppé-Plan und für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufgerufen war. Die Sache fing bereits mit einem Flop an: Am vergangenen Montag, dem Aktionstag der regionalen Verwaltungen, kam nur eine Handvoll Menschen in Paris zusammen. Bevor sich der kleine Trupp in Bewegung setzte, diskutierten die Teilnehmer ernsthaft, ihre Demonstration abzusagen, um sich nicht lächerlich zu machen.

„Die Kollegen sind noch zu erschöpft von dem letzten großen Streik“, versuchte eine Rathausmitarbeiterin aus dem südöstlichen Pariser Umland zu erklären. Zusammen mit zwei Kolleginnen aus der Verwaltung war sie für einen Tag in den Streik getreten – der Rest des sozialistisch-kommunistisch regierten Rathauses arbeitete weiter. Eine andere Demonstrantin berichtet über die finanziellen Schwierigkeiten wegen der Lohnausfälle durch den Dezemberstreik: „Viele Leute können sich jetzt keine großen Sprünge mehr leisten, sie müssen arbeiten, um ihre Konten wieder aufzufüllen.“ Ein Gewerkschafter aus der westlichen Pariser Banlieue betont, daß der Unmut über den Sozialabbau seit Dezember unverändert stark geblieben ist. „Das kann jederzeit wieder losgehen“, sagte er, „genauso stark und genauso unberechenbar wie im vergangenen Jahr.“

Die Protestmüdigkeit zog sich durch die gesamte Aktionswoche. Größere Demonstrationen gab es nur am Donnerstag, als die Rüstungsindustrie dran war. In der zentralfranzösischen Stadt Bourges und an anderen Standorten des militärisch-industriellen Komplexes, in dem die Regierung in den nächsten Jahren Zigtausende Arbeitsplätze streichen will, bildeten sich sogar wieder Bündnisse aller Gewerkschaften.

Auf nationaler Ebene hatte sich die beiden anderen großen Gewerkschaften jedoch nicht an der Aktionswoche beteiligt. Beide sind gegenwärtig vor allem mit internen Konflikten beschäftigt: In der sozialistischen CFDT, deren Generalsekretärin Nicole Notat sich im Dezember gegen die Streiks gestellt hatte, fordert ein Teil der Basis einen Führungswechsel. Auch in der traditionell eher reformistischen Gewerkschaft FO ist die Stimmung schlecht. Nachdem FO- Generalsekretär Marc Blondel federführend am Dezemberstreik beteiligt gewesen war und Freundschaftsgesten mit seinem traditionellen Gegner, CGT-Chef Louis Viannet, ausgetauscht hatte, fordert nun der konservative Teil der FO-Basis einen Führungswechsel und die Rückkehr zum alten versöhnlichen Verhandlungsstil der Organisation.

Die Forderungen sämtlicher französischen Gewerkschaften und der Basis haben sich seit Dezember nicht wesentlich geändert. „Keine Kürzungen auf Kosten der sozial Schwachen!“ forderten gestern wie damals die Demonstranten in Paris. Und: „Weg mit dem Juppé-Plan!“ An mehreren Runden Tischen verhandeln die Gewerkschaften seit Jahresende mit Arbeitgebern und Regierungsvertretern über Arbeitszeitverkürzungen und die Abmilderung einzelner Punkte des Sparplans für die Sozialversicherung. Bislang ohne sichtbare Erfolge.

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