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Die Königin der Hausmädchen

Bis vor zehn Jahren verweigerten die meisten Anwälte in Rio de Janeiro Hausmädchen juristischen Beistand. Die Vorurteile waren unvorstellbar – den „ungebildeten, diebischen, lüsternen“ Frauen wurde grundsätzlich misstraut. Doch in den Neunzigerjahren stieg die Zahl der Dienstmädchenprozesse in Brasilien sprunghaft an, nachdem die gesetzlichen Hürden für Verfahren mit geringem Streitwert abgebaut worden waren.

Zeitgleich machte in Rio die Hausmädchengewerkschaft mit Ana Claudia de Carvalho als Anwältin mobil. „In neun von zehn Fällen muss ich erst beweisen, dass eine Empregada überhaupt bei einer Familie angestellt war, um ausstehende Gehälter einklagen zu können.“ Die „Königin der Hausmädchen“, wie ihre Klientel sie nennt, ist Chefin einer eigenen Kanzlei. Donnerstags hält die 37-Jährige in der Gewerkschaftszentrale gratis Sprechstunde. „Jeder kann etwas von seiner Zeit abknapsen, um etwas für andere zu tun.“

Das Hausmädchen – mit ihr oder einer Prostituierten hatten brasilianische Männer bis in die Sechzigerjahre oft ihren ersten sexuellen Kontakt. „Für die Initiation stellte der Vater damals ein junges, hübsches Ding ein“, sagt Ana Claudia de Carvalho. Dank ihr werden heute sexuelle Nötigung und Vergewaltigung am Arbeitsplatz immer öfter angezeigt.

Die Gewohnheit, Hausangestellte als eine Art Privatbesitz zu betrachten, ist ein Relikt aus dreihundert Jahren Sklaverei, die Brasilien als letztes Land 1888 offiziell abschaffte. Doch die sklavenähnliche Ausbeutung von minderjährigen Mädchen gehört leider noch immer zum Alltag. Aus Großfamilien im armen Nordosten des Landes holen sich reiche Familien aus Rio häufig erst zehnjährige Putzhilfen gegen Kost und Logis. Sieben von zehn brasilianischen Empregadas arbeiten noch immer ohne Vertrag.

„Die Frauen müssen auf feste Arbeitszeiten und Papiere pochen und aufhören, sich als arme Verwandte zu fühlen“, fordert die Hausverteidigerin des Syndikats. Denn in der heiklen Beziehung zwischen Patroa und Empregada gären auf vielen Ebenen Konflikte, die mit Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten enden können. Ein typischer Entlassungsgrund ist Eifersucht: wenn sich das Dienstmädchen mit den Kindern ihrer Arbeitgeberin zu gut versteht.

Die Köchin darf nicht essen, was sie zubereitet hat, sondern bekommt billigen Maisbrei auf den Teller. Ana Claudia de Carvalho kennt alle Arten von Demütigungen, denen Empregadas ausgesetzt sind. Die Juristin nimmt aber auch die Arbeitgeberinnen in Schutz: „In Zukunft muss die Arbeitsmoral steigen. Viele Dienstmädchen, die glauben, dass sie für die Familie unentbehrlich sind, werden frech und fangen an zu trödeln.“

Ana Claudia de Carvalho beschäftigt wie jede Frau aus Rios Mittelschicht auch eine Putzhilfe. „Doch ich verwöhne mein Mädchen und verderbe es schon fast für andere Jobs“, lacht sie. Die Anwältin weiß: „Herzliche Freundschaften zwischen Herrin und Dienerin gibt es glücklicherweise genauso häufig wie Probleme.“ Über ein betont enges Verhältnis kontrollieren viele Arbeitgeber aber auch insgeheim die Kontakte ihres Personals. Denn nichts fürchten die wohlhabenden Brasilianer so sehr, wie die Rache einer gekränkten Hausmädchenseele – die preisgeben könnte, wann ihre Arbeitgeber im Urlaub sind und wo der Familienschmuck liegt.

EVA-MARIA SCHREINER

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