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Die Klospülung ziehen

■ Aus Hamburg: Regisseurin Necla Akgün und Ensemble geben mit Zaimoglus „Koppstoff“ ein Gastspiel im Jungen Theater

Nicht nur „Fluchtgeschichten“ sind derzeit „in“, sondern auch die künstlerischen Lebensäußerungen von zumeist jungen Deutsch-Türken. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist Vorreiter und Ikone dieser Entwicklung, fast schon so etwas wie ein Kanaken-Opa. Sein 1995 erschienenes Buch „Kanak Sprak. 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft“ machte ihn populär und diente im vergangenen Jahr auch dem Jungen Theater in Bremen als Inszenierungsvorlage. Eben dort gastiert zur Zeit für drei Tage die deutsch-türkische Regisseurin Necla Akgün und ihr fünfköpfiges Ensemble, zusammengewürfelt aus verschiedenen hamburgischen Underground-Bühnen.

Akgün hat fünf der 26 Monologe aus Zaimoglus 1998 erschienenem Werk „Koppstoff“ bearbeitet, das gewissermaßen eine Fortsetzung von „Kanak Sprak“ ist; während dort nur junge Männer zu Wort kamen, lassen in „Koppstoff“ ausschließlich weibliche „Zwischenraumsfiguren“ (Akgün) Dampf ab, sprechen über ihr Leben und Überleben. Sowohl Zaimoglu als auch Akgün geht es darum, Lebensentwürfe jenseits von Assimilation, Integration und den Kategorien zuschreibungswütiger Migrantenforscher zu präsentieren. Von Außenstehenden konstruierte „Identitäten“, die sich schon für die Elterngeneration als nicht lebbar erwiesen haben, werden rundweg abgelehnt. Deshalb ist ein zentrales Arbeitsmittel die Verunsicherung. Die bewußt eingesetzte Ambivalenz fordert die ständig wiedergekäuten, verinnerlichten Ordnungsmuster heraus. So kann das fröhliche Projizieren beginnen – oder aufhören, wenn man begriffen hat, worum es in „Koppstoff“ geht.

Die Inszenierung und die Verunsicherung beginnt mit der Telefonzelle. Oder ist es ein Fahrstuhl? Ein Schaukasten? Eine Taucherglocke? Oder was? Jedenfalls ist es – und auf diese Formulierung könnten sich wohl alle Zuschauenden einigen – ein Raum, der vier der fünf Akteurinnen vom Publikum trennt. Nicht optisch, aber akustisch. Um die Aufhebung dieser Trennung soll es gehen. „Let's talk about every-thing“, würde Ricky, Quotenneger der deutschen Talkshowlandschaft, ausrufen. Was nach Verlassen der Käseglocke auch prompt geschieht. Zunächst kakophonisch durcheinander, dann, nachdem sich so etwas wie eine Gesprächskultur etabliert hat, abwechselnd. Doch zurück zur programmatischen Verunsicherung. Die befindet sich eher auf Seiten des Publikums als bei den Sprecherinnen: „sie wollen mich auf den mund gefallen, aber ich bin eine starkfrau.“ Wer macht solch taff-poetische Äußerungen? Türkinnen? Deutsche, die Türkinnen mimen? „Migrantenkinder“? „Mischdinger“? Und die eine da, die mit Kreide die Stützbalken des Jungen Theaters bekritzelt, sieht die nicht ziemlich türkisch aus? Oder wenigstens türkischer als die anderen? „Man hat diese Figur schon für meine Tochter oder mich gehalten“, lacht Regisseurin Akgün.

Profikategorisierern wird ihre Zuschreibungswut gründlich ausgetrieben. Kulturwissenschaftler, Liberale, Pseudo-Intellektuelle, sie alle kriegen ihr Fett weg. „wer solchen die hand reicht, ist schon geknebelt“, sagt eine Figur. Aber auch schwammiges Geschwafel ist nicht erwünscht. „da war etwas über mich gewachsenes, das sich meiner begrifflichkeit entzog“, wird scherzhaft ein Festlegungsphobiker zitiert. Der passende Kommentar angesichts solch gruseliger Stilblüten: „da möchte ich doch die klospülung ziehen.“

Sicherlich, Zaimoglus Text ist stark. Stark, böse, originell und witzig. Allein seinetwegen lohnte sich schon der Theaterbesuch. Aber Akgün gab sich nicht damit zufrieden, Solistinnen auf die Bühne zu stellen, die ihre Monologe herunterrattern. Sie strich Passagen, fügte andere hinzu und entwickelte ein körperbetontes Bühnengeschehen, eine Collage aus vielsprachigem Gesang, Rollenwechseln, Slapstick, Ententanz und Polonaise. Wenn Sie heute Abend noch nichts vorhaben, dann hören Sie sich an, was Rapperin, Edelboutique-Verkäuferin, Anarchistin, Kunstgeschichtsstudentin und Gemüseverkäuferin zu sagen haben. Da ist Ulk und Fez und Sprengstoff drin. Aber echt! Tim Ingold

Letzte Aufführung: Heute, 18.12., 20 h im Jungen Theater.

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