Die Image-Konstrukte der Pokalfinalisten: Malochermythos und Weißbieridentität
Borussia Dortmund stilisiert sich mit Hilfe einer Agentur zum Gegenentwurf von Bayern München – das steht für einen Volksstamm, doch richtig bayerisch ist wenig am Millionenbetrieb.
Markenkern aus Düsseldorf
Borussia Dortmund verkauft neuerdings ein Getränk, „Adrenalin für Berlin“ heißt der süße Koffeinmix, der für 1,49 Euro zu haben ist. „Mit dem BVB Energydrink durchströmt schwarzgelbes Adrenalin Deinen Körper“, versprechen die Marketingstrategen des Deutschen Meisters, die eine beachtliche Kunstfertigkeit entwickelt haben, die Sache mit den körpereigenen Drogen auf die Spitze zu treiben.
Im vorigen Sommer wurde ein gewitztes Imagefilmchen produziert, in dem BVB-Fans das viel zu hoch dosierte Adrenalin spenden, das durch ihre Adern strömt. Jetzt ist der Stoff käuflich zu erwerben – der neueste Gag einer ganz erstaunlichen Erfolgsgeschichte, in deren Mittelpunkt die Suche nach dem wahren Selbst steht.
Das DFB-Pokalfinale der Männer findet am Samstag wie gewohnt in Berlin statt (20 Uhr, ZDF). Selten gab es eine so hochklassige Spielpaarung: Meister Borussia Dortmund und Vizemeister Bayern München duellieren sich. In der Bundesliga-Saison hatte Dortmund beide Spiele mit 1:0 gewonnen, in der Rückrunde gewann das Team von Jürgen Klopp bis auf zwei Unentschieden alle seine Spiele.
Die Frauen spielen schon vorher. In Köln spielt ebenfalls Bayern München mit – allerdings als klarer Außenseiter gegen den 1. FFC Frankfurt, der den Pokal bereits achtmal gewinnen konnte (16 Uhr, ZDF).
Und derzeit ist sich BVB näher als je zuvor. „Borussia Dortmund hat schon viele Titel gewonnen, aber ich behaupte, dass es noch nie eine solche Symbiose zwischen Fans und Mannschaft gab, wie das hier im Moment der Fall ist“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Denn die Mannschaft und ihr Fußball sind wie die Menschen hier. Oder zumindest wie sie glauben zu sein: leidenschaftlich, nahbar, offen, witzig und authentisch. Der Glamour Münchens oder Hamburgs und große Namen zählen hingegen wenig hier im Nordosten des Ruhrpotts.
Es scheint, als hätten die Dortmunder gefunden, wonach die halbe Fußballwelt dürstet: ein ganzheitliches Vereinskonzept, in dem die Mentalität der Menschen in der Stadt eine zentrale Rolle spielt. Während ihrer Rettung vor der Pleite Mitte des vorigen Jahrzehnts hatten sie mehr Glück als Verstand, was danach passierte, ist aber noch viel verrückter. Weil es so unfassbar einfach klingt und man fragen muss: Warum habt ihr das nicht hinbekommen in Köln, Berlin oder Schalke?
„Echtheit und Intensität“
Als das Überleben des BVB 2006 gesichert war, „haben wir versucht, eine Vision von der Borussia zu entwickeln, wie sie heute ist“, sagt Watzke. Er spricht von einem „Markenkern“, der mithilfe einer Düsseldorfer Agentur entstanden sei, von einem Wertesystem, das von zwei Begriffen geprägt wird: „Echtheit und Intensität“. Als der Erfolgs-BVB der Gegenwart erfunden wurde, haben sie sich einfach auf den Charakter der Menschen im Ruhrpott besonnen.
So entstand ein Corporate Design, dem nicht nur sämtliche Kommunikationsmaßnahmen wie Anzeigen, Plakate, das Stadionmagazin Echt und die Autogrammkarten angepasst wurden, sondern – noch viel wichtiger – auch der Spielstil: „echt und intensiv“. Und weil diese Spielweise „am besten mit jungen Leuten realisierbar“ sei, wurden Fußballer wie Marcel Schmelzer, Kevin Großkreutz, Neven Subotic oder Mats Hummels zum BVB gelockt. In Jürgen Klopp haben sie auch noch den perfekt passenden Trainer gefunden.
Die „große Show“, die gehöre anderswohin, sagt Watzke, „der Westfale hat andere charakterliche Ausprägungen als der Hanseat oder der Bayer, der Westfale ist sehr geerdet.“ Solche trockenen Analysen klingen im ersten Moment gar nicht besonders echt, weil sie in irgendwelchen gläsernen Büros erdacht wurden. Aber der Plan ist bemerkenswert konsequent auf alle Bereiche des Klubs ausgeweitet worden. Selbst die unglaubliche Südtribüne, wo das Herz dieses BVB pulsiert, hat längst Spaß daran, diese aufregende Fußballmarke zu repräsentieren.
Ein Stück Malochermythos
Es ist ein Stück vom alten Malochermythos des Ruhrpotts, den die Dortmunder hier wiederbeleben, dieser Aspekt war ja während der mondänen Erfolgsphase der 90er ein bisschen verloren gegangen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch etwas anderes: die Suche nach einer zeitgemäßen Identität.
Damit ist ja die gesamte Region nach dem Ende der Bergbauära beschäftigt. Im Stadion entstand dieses neue Selbstbild über den fein durchdachten und laufintensiven Pressingfußball des schwäbischen Trainers Klopp, der ja durchaus ein Mann mit Talent für die große Show ist. Aber eben geerdet. Zumindest noch.
Ob Klopp in Hamburg, wo er wegen seiner zerschlissenen Jeans aus dem Kreis der Trainerkandidaten eliminiert wurde, oder in München ähnlich erfolgreich wäre, ist in jedem Fall sehr ungewiss. Denn manchmal passt es eben einfach, und dann können mitunter erstaunliche Kräfte frei werden. DANIEL THEWELEIT, DORTMUND
Trachten-Incentive für Zugezogene
Weißbier? Aber sicher doch! Im Erfolgsfall werden aus sehr großen Gläsern wieder sehr viele Liter des bayerischen Nationalgetränks fließen – weniger durch durstige Sportlerkehlen als vielmehr über Trainer-, Spieler- und Präsidentenschädel. Ungetrunken wird der Gerstensaft im Rasen versickern, nur Sekunden nachdem er von gar lieblich bedirndelten Damen angereicht wurde. Bayerisches Finalbrauchtum. Ein Prosit der Unwirklichkeit! Ausnahmezustand. Denn ansonsten ist die Unternehmenskultur des FC Bayern München nur mäßig bayerisch geprägt.
In der Sportberichterstattung geht es um Verknappung. So wird aus dem FC Bayern München der FC Bayern, dann heißt es „die Bayern“ und schließlich nur noch: Bayern. Ein Fußballverein steht für ein ganzes Bundesland, einen kompletten Volksstamm. Dass der kickende Teil des Klubs aus aller Herren Länder stammt, ist längst überall Sitte, wo mit Fußball viel Geld verdient wird. Aber auch der Kern des Klubs, der Führungszirkel des Millionenunternehmens FC Bayern AG, ist längst nicht mehr in der Hand von Bayern.
Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge kommt aus Lippstadt, wirkt in Lodenmantel oder Lederhose eher verkleidet und würde mit seinem soignierten Habitus viel besser nach Mailand passen. Auch Uli Hoeneß, Präsident, Bauch und Seele des Klubs, geht als Ulmer nicht wirklich als Oberbayer durch, auch wenn er am Tegernsee, im Bilderbuch-Oberbayern, lebt.
Der Mannschaftsarzt ist Ostfriese
Weit jenseits des Weißwurstäquators ist die Trainerschaft zu Hause: Jupp Heynckes kommt vom Niederrhein, sein Assistent Peter Hermann aus Kleinmaischeid bei Montabaur. Torwarttrainer Toni Tapalovic ist Gelsenkirchener. Sportdirektor Christian Nerlinger kam in Dortmund zur Welt. Und Klubarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist Ostfriese. Na servus!
Nur gut, dass wenigstens die Fahrerin des Bayern-Busses ein wenig krachert daherkommt: Sandra König verbirgt ihr heimisches Idiom nicht. Im Gegensatz zum Großteil der Profis, deren Dialektfärbung eher fernsehtauglich neutral ist. Mit Philipp Lahm und Diego Contento gehören zwar zwei Münchner Kindl zum Kader, doch so, wie man sie reden hört, könnten sie auch beim HSV spielen. Lediglich Bastian Schweinsteiger (Kolbermoor bei Rosenheim) und Thomas Müller (Pähl bei Weilheim) traut man herzhaft-bairische Kraftausdrücke zu. Franck Ribéry lernt lieber Wienerisch – von David Alaba. „Bist du deppert!“ kann er angeblich schon.
Immerhin: Die Schafkopfrunden gibt es noch. Sogar Saupreißn wie Manuel Neuer dürfen mitspielen: Liberalitas Bavariae! Auch immer dabei: Physiotherapeut Fredi Binder. Er hat schon mit dem bekennenden Weißbiertrinker Klaus Augenthaler gekartelt. Überhaupt: das Bier. Logisch, dass ein Klub aus der Bierstadt eine Brauerei im Sponsorenpool hat. Pokalsiege in Berlin feiern die Bayern aber nicht im Wirtshaus, sondern in der Repräsentanz des Hauptsponsors, eines rheinischen Kommunikationsunternehmens.
Die seligen Zeiten des Maier Sepp, der „Katze von Anzing“, oder der Giesinger Franz und Katsche sind lange vorbei. Wobei: Den Bürobedarf bezog der Klub jahrelang vom kleinen Schreibwarenladen des Georg „Katsche“ Schwarzenbeck in der Ohlmüllerstraße. Und den noblen Holzständer für die bleischwere Bayern-Chronik ordert der Verein nicht irgendwo, sondern beim Möbelmacher Udo Horsmann, dem Europapokalsieger von 1976.
Dennoch: Der FC Bayern ist längst ein klassisch globalisiertes Unternehmen. Einmal im Jahr schmeißt man sich zum Firmen-Incentive „Oktoberfest“ kollektiv in Tracht, trinkt Bier aus zu großen Gläsern und tut sich rechtschaffen schwer beim finalen „Pfiats eich!“. Kölns Expräsident Wolfgang Overath konnte sich am Ende der Klüngelei wenigstens im korrekten Slang verabschieden: „Maat et joot!“ Beim FC Bayern der Jetztzeit hieße es wohl eher „Tschüß“. THOMAS BECKER, MÜNCHEN
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