piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Hölle bin ich

Matthias Hartmann hat in Bochum den Roman „1979“ von Christian Kracht für die Bühne adaptiert. Auch wenn der Theaterapparat manchmal ins Ächzen kommt: Der Inszenierung gelingt es, den schwierigen Vorgang abzubilden, der die schrittweise Verfertigung der Illusion beim Erzählen heißt

Das dezentrierte Subjekt braucht keinen Teufel, es betreibt die Hölle ganz allein

Der durchschnittliche Ich-Erzähler ist nicht zu beneiden. Ganz allein muss er eine Welt erschaffen: Landschaften entwerfen, Menschen zum Leben erwecken, oftmals Konflikte mit sich selbst austragen. Jede Menge Arbeit, die in der Regel klaglos erledigt wird.

Auch der Ich-Erzähler in Christian Krachts Roman „1979“ tut unauffällig seinen Job. Mit schlichten, manchmal leicht schadhaften Sätzen schildert er eine exzessive Party und die Unruhen in Teheran gegen Ende des Schah-Regimes. Er haucht seinem Reisegefährten Christopher Härte und Zynismus ein und ruft Mavrocordato auf den Plan, einen rumänischen Charismatiker mit Hang zum Prophetentum. Schließlich breitet er vor dem inneren Auge des Lesers chinesische Hochebenen, Wüsten und Arbeitslager mitsamt Haftalltag aus.

All die diskreten Anstrengungen der Welterschaffung kommen jetzt in der Bühnenversion des Romans zu eigenen Ehren. Matthias Hartmann, der Intendant des Bochumer Schauspielhauses, hat die Arbeit des Erzählens mitinszeniert. Und dafür hat er einen frischen Raum geöffnet: einen Industriekubus aus Backstein, der sonst von der Bochumer Schauspielschule genutzt wird. Am Anfang des Abends ist er weitgehend leer, Volker Hintermeier platziert bloß zwei schmale Sofas auf einen sandfarbenen Teppich und dazu einige Partyutensilien. An allen Seiten stehen Illusionsgeräte bereit: hinten zwei Leinwände, seitlich Lautsprecher, Videokameras und Scheinwerfer.

In diesen kargen Raum fallen die Worte des Erzählers. Zunächst überträgt sie ein Lautsprecher, dann bekommen sie Körper – und zwar gleich zu Beginn schon zwei. Lucas Gregorowicz präsentiert die gewandte Variante des Erzählers, so etwas wie ein Ideal-Ich mit dunklem Dreitagebart und hellen Augen. Eine hübsche Identität, aber leider instabil: Sobald der Erzähler zu handeln hat, verflüchtigt diese Identität sich und tritt in den Dienst fremder Figuren. Dann bleibt Maik Solbach als Erzählerkörper, als Alltags-Ich sozusagen: zuverlässig, aber etwas unbeholfen.

Was die beiden aussprechen, nimmt Form an. Während sie Christopher beschreiben, seine Aussagen zitieren, verwandelt Oliver Masucci, der dritte Schauspieler des Abends, das Ganze in Aktion und direkte Rede. Wenn sie Eindrücke von der Teheraner Party wiedergeben, erscheinen sie selbst – vervielfacht und farbverfremdet – als Menschenmenge auf den Leinwänden. Nebenbei deutet die Inszenierung an, wo die Illusion ihre Rohstoffe bezieht: Mal wird die Kulisse aus einem Einrichtungsmagazin abgefilmt, mal das Bild unruhig vorbeiziehender Straßenmarkierungen aus Lynchs „Lost Highway“ entlehnt.

So wächst eine Welt. Im Gegensatz zum Roman-Erzähler gerät die Theaterapparatur dabei manchmal ins Ächzen. Redundanzen stauen den Erzählfluss, Szenen stoßen unsanft aneinander, Pointen lenken ab. Aber es gelingt der Inszenierung, jenen unscheinbaren Vorgang abzubilden: die schrittweise Verfertigung der Illusion beim Erzählen. Das hat schon an sich seinen Reiz. Doch indem die Inszenierung den Vorgang des Erzählens betont, kommt sie zur einer wichtigen Entscheidung: Sie liest Krachts Geschichte mehr als Entäußerung eines Subjekts, denn als Abbild einer Außenwelt. Zum Glück – als Kommentar zur sozialen Realität gäbe „1979“ ein schwaches Bild ab. Wenn die Party in Teheran zu einem dekadenten Rausch anschwillt, ergibt noch keine Analyse der Wohlstandsgesellschaft. Und wenn der Erzähler im tibetanischen Hochland Erlösung sucht und als Häftling im Arbeitslager sogar eine seltsame Ruhe findet, kann das kaum als Therapievorschlag für reuige Hedonisten gelten.

Nein, lernen kann man vor allem eins: Das ganze Drama von Exzess, Schuld und Strafe hat bequem in einem einzelnen Subjekt Platz. In einer Szene, in einem kompakten Bild der Selbstzerfleischung fasst Hartmann die Lektion zusammen. Rechts kniet der gepeinigte Leib: Maik Solbach, der von Misshandlungen im Arbeitslager berichtet. Links im Sofa räkelt sich die Lust: Mit einem Drink in der Hand schreit Oliver Masucci den Schmerz des Häftlings heraus, aber auch die Fragen der Peiniger. Hinten steht das Gesetz: Lucas Gregorowicz in Uniform, der Anweisungen durch ein Megafon bellt. Drei Facetten des erzählenden Ich, die sich wunderbar ergänzen. Das dezentrierte Subjekt braucht keinen Teufel, es betreibt die Hölle ganz allein.

MORTEN KANSTEINER