Die Hochleistungspumpe

BINNENWELTEN – Die taz-Serie über den unsichtbaren Alltag. Teil 7: Der Hafen, ein Reich mit eigenen Gesetzen und unerwarteten Nischen  ■ Von Gernot Knödler

Jörg Pollmann hütet das Tor zur Welt. Wenn der Mann im blauen Hemd und Khaki-Hosen aus dem Fenster sieht, blickt er über die U-Bahnstation Baumwall hinweg auf Schlepper und Barkassen, Frachter und Tanker, Kräne, Kais, Werften und Lagerhallen. Der Hafen ist das Herz Hamburgs und Pollmann dafür verantwortlich, dass es gleichmäßig schlägt.

Der schlanke Mann mit dem braunen Haar ist der Hafenkapitän und als solcher „für die Gewährleis-tung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Hafen zuständig“. Eine Herkulesaufgabe in einem tideoffenen Flusshafen, in dem die Wasserstände regelmäßig um drei Meter schwanken, in dem sich Sandbänke bilden, Hafenbecken verschlicken und der eigentlich nicht tief genug ist für die immer größer werdenden Pötte.

Schon das Anlaufen der Elbmündung will gut geplant sein, denn die großen Containerschiffe brauchen die Flut, um über die weniger tief ausgebaggerten Stellen der Fahrrinne hinweg in den Hafen surfen zu können. Ihre Bewegungen verfolgen Pollmanns Männer in der Nautischen Zentrale am Seemannshöft auf dem Radarschirm. Pfeile zeigen Kurs und Geschwindigkeit der Schiffe. Zumindest die großen Pötte können auf diese Weise vor Grundberührungen und Kollisionen gewarnt werden.

Die Kleinen müssen dagegen genau auf die merkwürdig hallenden Funksprüche achten, mit denen die Kapitäne bekannt geben, dass sie um eine Ecke eines Hafenbeckens biegen. Denn die elf Radarstationen des Oberhafenamtes können zwar zusammen 1500 Objekte gleichzeitig verfolgen. Die vielen Schlepper, Schuten oder auch die Barkassen, mit denen Kapitän Gregor Mogi Touristen durch den Hafen schippert, würden das Bild unnötig verwirren.

Der junge Mann, der einen blauen Troyer über seinem stattlichen Bauch und auf dem Kopf eine verknautschte Kapitänsmütze trägt, hat vor zwei Jahren den Betrieb seiner Großeltern übernommen. Die Barkassen St. Pauli, Bubi 2, Horst und Hildegard tuckern auf seine Rechnung zwischen den Containerschiffen herum. Bevor Mogi hier an den Landungsbrücken losgelegt hat, reiste er deshalb anderthalb Jahre durch die Welt: USA, Japan, Südamerika – einmal rund um die Welt. „Was, sagen Selbständige, haben sie in den letzten 30 Jahren nicht gemacht?“, fragt Mogi. „Urlaub.“ Davon lebt er jetzt auf Vorrat.

In Japan hat Mogi seine Frau Kaoro kennen gelernt. In ihrer weißblau gekachelten Küche im Gebäude der alten Landungsbrücken hat sie für den Gast eine Portion Spaghetti mehr gekocht und prüft mit Stäbchen die Konsistenz. Beim Essen schweift Mogis Blick über seine Barkassen und die großen Fahrgastschiffe hinweg über den Strom. Die Treppe runter und er ist in zwei Minuten an Bord.

Schräg gegenüber ist der Eingang zum Alten Elbtunnel, dem kürzes-ten Weg von den Werften auf der Elbinsel in die Stadt. An die Rampe der Hafenstraße lehnte sich noch in den 50er Jahren Trinkhalle an Trinkhalle, erinnert sich Jan Flint von der gleichnamigen Werft auf Steinwerder. Das Feierabend-Bier war Normalität. Am Wochenende lauerten die Frauen am Tunnelausgang, um ihren Männern die Lohntüten abzunehmen, deren Inhalt manch einer am ersten Abend versoffen hätte. Flint wohnte als Kind auf der Werft, der Tunnel gehörte zum Schulweg.

Von der zweischneidigen Kneipen-Herrlichkeit ist heute nichts mehr übrig geblieben. „Die Leute fahren alle mit dem Auto, da können sie nichts trinken“, sagt Flint. Auch die Kaffeeklappen, fest gebaute Kantinen, die früher neben jedem Schuppen standen, sind perdu. Ein Containerhafen kann auf die Heerscharen buckelnder Arbeiter-Ameisen verzichten. Neben den Kantinen einiger weniger großer Betriebe gibt es bloß noch ein paar Imbisswagen.

„Wolfgang's Hafenklappe“ am Osteingang von Blohm + Voss In-dustrietechnik zum Beispiel. „Alkohol, Zigaretten und Würstchen“ gingen am besten, sagt Verkäuferin Angelika Schötzau. Ihre Kunden sind Trucker, Handwerker, Werftarbeiter und Soldaten vom benachbarten Marinestützpunkt, dessen Kantine gerade renoviert wird. Das Geschäft im Kleinen scheint sich zu lohnen: Wolfgang hat seine Hafenklappe längst verkauft und betreibt jetzt eine Kneipe in Hannover.

Die 20 Leute vom Werft-, Taucher- und Bergungsbetrieb M.A. Flint haben zwar ebenfalls keine Kantine, arbeiten aber einen Kanal entfernt und bringen sich deshalb meistens belegte Brote mit. Durch die lange Fensterfront seines Kontors sieht Jan Flint drei Schiffe auf Schienen liegen: zum Schweißen, Anmalen, zum Austausch einer Maschine und einer Schraubenwelle. Eine riesige Winsch vor den Fenstern des Kontors kann über Umlenkrollen und Flaschenzüge jede Bahn bedienen.

In einem offenen Schuppen stapeln sich rechterhand Schiffsschrauben, die Werftkunden hier deponiert haben wie andere Leute ihre Winterreifen in der Autowerkstatt. Einige Schritte weiter liegen rostige Ketten und Stahltrossen in Haufen, anderswo riesige Getriebe. „Hin und wieder sind wir auch mal Filmkulisse“, sagt Flint.

Die Zeit scheint still zu stehen an dieser Stelle des Reiherstiegs. Im Grevenhofkai neben dem Werftgelände liegt der gut 30 Meter hohe Schwimmkran Flint V von 1929. Sein hölzernes Steuerhaus ähnelt einer Gartenlaube, aber seine Arme aus den 60er Jahren heben 200 Tonnen. Neben der breiten Arbeitsplattform des Schwimmkrans liegt ein Bergungsschiff, dessen Dampfmaschine gegen einen Diesel ausgetauscht werden soll, dahinter eine Schute mit einem rahmenlosen Bullauge.

„Da wohnten früher Leute drauf“, sagt Jan Flint und meint die Zeit nach dem Krieg. Eine weitere Verwendung muss sich zwischenzeitlich gefunden haben, denn die Ladebuchten sind mit modernen Schiebeluken verschlossen. Auch heute noch wohnen zwei auswärtige Mitarbeiter der Firma unter der Woche auf den Schiffen vor dem Werftgelände. Von der Familie hat es lediglich Jans Sohn Lars auf dem Werftgelände gehalten. „Dem gefällt es hier“, sagt Flint.

Schon am Kai gegenüber ist von der Romantik nichts mehr übrig. Dort erhebt sich das proppere Hochregal-Lager der Deutschen Shell, daneben liegen die Rohre und Tanks der Dea. Doch die Zukunft des Hafens liegt im Westen, bei den großen Container-Umschlagsanlagen in Waltershof und bald auch Altenwerder. Hier machen die großen Pötte fest, um in Windeseile entladen, beladen und wieder auf die Reise geschickt zu werden.

Allein am Burchardkai sind 16 Kapitäne und zwei Dutzend Informatiker damit beschäftigt, möglichst rationell Container umzustapeln. Computer, die mit den Zieldaten eines jeden Containers gefüttert werden, berechnen den günstigsten Platz auf dem Kai oder im Schiffsbauch, so dass die Container für Rotterdam nicht unter denen für Buenos Aires liegen.

Doch das beste Rechenmodell hilft nichts, wenn das Oberhafenamt den gewünschten Liegeplatz verweigert, etwa weil der angekündigte Tiefgang nicht mit dem tatsächlichen übereinstimmt, oder Hindernisse im Hafenbecken auftauchen. Dann müssen sich die Leute von Hafenkapitän Pollmann und der Schiffskapitän etwas einfallen lassen: Sie schieben die Pötte in den tiefen Liegewannen direkt an den Kais von einer Position zur anderen oder der Kapitän sagt zu, einen Teil der Ladung sofort zu löschen, um den Tiefgang zu verringern.

Wenn das alles nicht hilft, müssen die Container per Lastwagen zur neuen Position gebracht werden. Schlecht für den Reeder, der sich auf einen festen Liefertermin festgelegt hat, und schlecht für das Herz von Hamburg, von dem infarktfreies Arbeiten erwartet wird.

 Am Montag Teil 8: Hamburg unterirdisch, das verborgene Reich der Siele