Die Hedonistische Internationale: Feuerwehr des Straßenkampfs
Die Hedonistische Internationale erweitert das Bewusstsein der darbenden Linken. Sie löscht, wenn es brennt. Und peppt Demos mit Spaß und Techno-Musik auf.
![](https://taz.de/picture/308296/14/feuer_06.jpg)
Rumtata und Rumtata und dann noch einmal Rumtata. Es ist natürlich eine Feuerwehrgeschichte. Und es gibt einiges zu feiern. Das Schalmeienkorps ist da, dann kommen schon die Löschfahrzeuge. 19 Stück sind es, und viele, viele Männer marschieren auf der Straße. Sie ziehen einmal laut durchs Dorf, und alle Dorfbewohner schauen zu, denn ja: Die Freiwillige Feuerwehr in Kaulitz ist an diesem Wochenende 110 Jahre alt geworden. Alle lieben diesen Schnickschnack hier, die Uniformen, das Trärä. Samstag, 11 Uhr morgens in Kaulitz in der Altmark. Sachsen-Anhalt, Rumtata und Kanne Bier.
Kaulitz liegt am Arsch der Welt. Geschätzt 300 Leute wohnen hier, wenn überhaupt. Es ist ein Ort im Nichts. Die Freiwillige Feuerwehr ist hier das Ein und Alles. Sie macht aus Freund und Feind ganz schlicht Kollegen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ein paar Meter weiter an diesem Wochenende eine etwas andere Feuerwehr zusammenkommt. Es ist die Feuerwehr des Straßenkampfs. Ihre Uniformen: Glitzerkugeln und Sternenstaub, die Löschgeräte sind aus Pappmaché, und ihr Schalmeienkorps besteht aus fetten Boxen und macht dub und dub und dubderub. Ihr Motto: "Das einzig gute System ist ein Soundsystem!"
Die Hedonistische Internationale ist da. Und dies ist ihr erster "Weltkongress". "Wir sind die Freak-Elite des Protests", sagt einer von ihnen. Sein Name? Andi G. Wehre. So heißen sie hier. Bodo Strahlemann, Monty Cantsin, Helmut Grokenfeld sind ihre Namen. Und alle lieben sie: Die Hedonistische Internationale - sie ist die Feuerwehr einer darbenden Protestkultur, bei der in Deutschland vieles brennt. Es kriselt allenthalben um sie rum - nur auf den Straßen regt sich kaum etwas. Es herrscht Verdruss. Auch hier, im Zentrum des Nichts? Beim "Weltkongress"? Och nö.
Rund 100 "Hedos" sind in Kaulitz und genießen. Es geht um Widerstand im Alltag, um kollaborative Proteste, es geht um Hacktivism und Trance Dance und darum, dass zur Befreiung auch der Rausch gehört. Ja sicher: Hier sind die Hippies der Jetztzeit zugegen. Aber ihr Politikum ist wirksam. Es ist die Bewusstseinserweiterung einer gesellschaftlichen Sehnsucht, die mit klassischer Politik nichts mehr anfangen kann.
Aus Hamburg, Berlin und Greifswald sind sie. Nur eine ist von weiter her gekommen: Dovile Juddeikaite, das ist ihr echter Name, kommt aus Vilnius in Litauen. Die 25-jährige Frau forscht zu sozialen Bewegungen und ist extra angereist, denn sie will wissen: "Wie sieht die Protestkultur von morgen aus?" Hier ist sie richtig.
Einer der Hedonistenpäpste sitzt dort im Schatten: "Ich hab kein Bock mehr auf Unter den Linden", sagt einer, der heute Helmut Grokenfeld heißt. Früher hieß er mal Monty. "Ewig dieses Gelatsche zum Brandenburger Tor - und das für einen 30-Sekünder in der ,Tagesschau', der dann doch wieder nicht erscheint. Ich will da nicht mehr mitmarschieren. Und wenn, dann nur mit einer Million Menschen." Hedo-Helmut ist Mitbegründer einer Bewegung, deren Slogans "Party, Party, Partysani!" lauten oder "Die Revolution muss tanzbar sein!"
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Die Hedonistische Internationale stellt sich vor
Und damit hat sie Erfolg. In vier Jahren wurde die Hedonistische Internationale zur Befreiungsarmee einer verdrossenen Linken. Die Hedonisten sind das immerbunte Add-on, das jeder Latschdemo guttut. Wenn es irgendwo brennt, werden sie gerufen. Sie sind die Spaßmacher der Straßenproteste.
Andi G. Wehre und Bodo Strahlemann haben als "Sektion Greifswald" das "Kinderwagenkulturkombinat" gegründet, eine mobile Soundmachine, mit der sie der subversive Schalmeienkorps der Widerstandsbewegung in ihrer Gegend sind. In Greifswald sind die Hedonisten die Befreiungsjoker für alle denkbaren Anliegen: Ob Unistreik, Antifa, ob Protest gegen ein Steinkohlekraftwerk oder Europas größte Ferkelzuchtanlage - wenn das Kinderwagenkulturkombinat anrückt, darf gelacht werden. Sie sind die schillernde Qualität des Politprotests. Mit ihnen, bitte, soll das Demonstrieren wieder Spaß bereiten.
"Uns erreichen ständig Anfragen, ob wir nicht bei irgendwelchen Demos mitmachen wollen", sagt Helmut. "Aber wir wollen nicht die Funkenmariechen der anderen sein. Im Gegenteil: Wir wollen auch die anderen zu kreativerem Protest ermutigen."
Und doch, sie sind ja schon die Spaßguerilla mit Bassbox und Underground-Techno und die, die auch mal über Grenzen gehen. In Kaulitz liegen die, die nicht mehr an die Latschkultur und an Beschwerdebriefe glauben. "Wir müssen in die Köpfe der Leute", sagt Helmut.
Und ihre mediale Durchschlagkraft gibt den Hedonisten recht. Mit spektakulären Aktionen zeigten sie in der Vergangenheit immer wieder, was auch ohne viele Menschen auf den Straßen geht: Dem ARD-Magazin "Polylux" etwa hatten die Hedonisten einen fingierten Speed-Konsumenten untergeschoben, der angeblich eine Drogen-Diät mache - um später die prekären Bedingungen zu thematisieren, unter denen viele Journalisten ohne Zeit zur Recherche arbeiteten. "Erschreckend, wie einfach es ist, selbst gewählte Inhalte in Massenmedien zu platzieren und so gesellschaftliche Wirklichkeit werden zu lassen", bilanzierten sie später.
Und genau das ist das, was sie können: Kommunikationsguerilla und ziviler Ungehorsam ist ihr Geheimnis. Sie stürmten nackt in eine Nazikneipe und auf Society-Veranstaltungen tauchen sie in Abendrobe auf. Dann folgt Protest. "Wie man mit dem schwarzen Block umgeht, das weiß die Polizei mittlerweile, wie sie mit uns umgehen soll, das weiß sie nicht", sagt Helmut.
Ronny gefällt das. Er ist in der Freiwilligen Feuerwehr Kaulitz. Er hat die Uniform noch an und eine Pudelmütze auf, jetzt tanzt er. Auch Zaza ist in Kaulitz in der Feuerwehr. "Wir gehören hier zu den Hippies im Dorf", sagt er. "Aber die Feuerwehr hat eine wichtige Funktion für uns: Sie löscht, wenn es brennt. Und: Sie schweißt zusammen. Der Streit bleibt immer vor der Tür."
Das ist ein Phänomen, das sich auch andere wünschen. Und diese Hedonisten, irgendwie gelingt es ihnen auch. Seit jeher zerlegen sich gerade linke Gruppen bevorzugt selbst. Sei es nur klassisches Sektierertum, sei es die Palästina-Frage. Und fürwahr: Trotz Wirtschafts-, Sozial- und Klima-Krise - geht es um Bewegungsmaßnahmen auf der Straße, haben viele Bewegte die Lust verloren.
"Wir sind undogmatisch und nicht theorieüberladen. Wir suchen nicht die Differenzen, sondern das gemeinsame in der politischen Aktion", sagt Helmut. Das Hedonisten-Geheimnis? Offen für jede Richtung. Und sich selbst bitte nicht zu ernst nehmen.
"Wir müssen uns neue Räume erkämpfen. Vielleicht müssen wir in die Feuerwehr gehen."
Vom Plattenteller im Hintergrund läuft jetzt ein Schlager. "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern" wird gespielt. Die Vorzeigenwitzbolde der Linken liegen entspannt im Gras und rauchen Gras und witzeln. Aber sie meinen es ernst. Ihr Schalmeienkorps ist ein Soundsystem. Aus Freund und Feind machen sie Sektionen. Sie mussten nicht erst 110 Jahre alt werden. Vier Jahre reichten.
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