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Archiv-Artikel

Die Hand ist wichtiger als das Auge

Volker Pantenburg setzt in seinem Buch „Film als Theorie. Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard“ zwei der Altstars des europäischen Autorenkinos in Beziehung. Vor allem ihr Interesse an einer zentralen Frage verbindet sie: Wie kann in Bildern und durch Bilder gedacht werden?

„Theorie“ an ihrer griechisch-antiken Wurzel bedeutet, „einem Schauspiel zuzusehen“

von DIETMAR KAMMERER

Jean-Luc Godard und Harun Farocki sind zwei Filmemacher, deren Biografien zahlreiche Übereinstimmungen aufweisen. Der Bezugspunkt 1968 und die Reflexion auf die Transformationen des Politischen wie des Künstlerischen; die Thematisierung von Filmgeschichte unter besonderer Berücksichtigung ihrer Ökonomie; die Auseinandersetzung mit Bildern in den Koordinaten des Monetären, des Materiellen und des Medialen. Beide waren als Filmkritiker tätig und sind Kommentatoren auch ihres eigenen Werks. Umso überraschender, dass bislang keine Monografie vorlag, die die beiden Altstars des Autorenkinos zueinander in Beziehung setzte – mit „Film als Theorie“ hat Volker Pantenburg, Komparatist und Filmwissenschaftler an der Universität Münster, diese Lücke nun geschlossen.

Was Pantenburg interessiert, ist allerdings weder doppelte Werkexegese noch vergleichende Nebeneinanderstellung. Vielmehr geht er anhand ausgewählter Filmbeispiele der Frage nach dem theoretischen Potential des Bildlichen nach: Wie kann in Bildern und durch Bilder gedacht werden? Ausgehend von Godards bündiger Formulierung „C’est le film qui pense“, gilt es, die Möglichkeit eines eigenständig filmischen, nicht an Sprache orientierten Denkens auszuloten. Das Problem filmischer Reflexion liegt paradoxerweise in der Unbestechlichkeit der Bilder: Das Sichtbar-Konkrete bewegter Filmbilder ist die denkbar größte Annäherung an Wirklichkeit – genau darin jedoch liegt die Crux, schließlich will jedes Nachdenken über einen Gegenstand einen Abstand zwischen sich und die Sache einziehen. Die Vertreter des Realismus zogen daraus die Konsequenz, in jeder Abstraktion eine unerlaubte Entfernung vom Wesen des Films zu diagnostizieren. Ist Kino folglich zu begriffsloser Realitätsverhaftung verdammt? Nein, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass „Theorie“ an ihrer griechischen Wurzel bedeutet, „einem Schauspiel zuzusehen“.

Godard und Farocki liefern Material für eine solche „sehende“ Theorie, insofern ihre Filme je schon Meta-Kino sind, Reflexion über die Voraussetzungen von Kino, aber auch des gesellschaftlichen Umgangs mit Bildern überhaupt. Das Projekt „Film als Theorie“ lässt sozusagen beide Enden nicht unberührt: eine andere Theorie ist nötig, aber auch andere Bilder. Wieder liefert Godard das Stichwort: „Kino ist nicht ein Bild nach dem anderen, es ist ein Bild plus ein anderes, die zusammen ein drittes ergeben.“ In der Montage, wie Godard und Farocki sie verstehen, wird logische Kausalität ersetzt durch die Konjunktionen des „und … und …“. Keine nahtlose Synthese, sondern ein Aneinanderreiben von Differentem, das durch Kontrast und Überraschung blitzartig Einsichten provoziert und Risse in die glatten Oberflächen der Filmbilder treibt. Gegenüberstellung von Bild und Text, aber auch Gegenüberstellung unterschiedlicher Bildtypen: Der Stellenwert von Malerei und Fotografie in den Filmen der „Bildforscher“ Farocki und Godard wird von Pantenburg folglich minutiös aufgearbeitet.

Gegen Vorwürfe eines „Kopf-Kinos“ vertritt Pantenburg, dass die beiden Filmautoren für einen realistischen Film einstehen, der sinnliche Konkretion gerade nicht gegen einen theoretischen Zugriff ausspielt, sondern „das eine im anderen entdeckt“. Nirgendwo deutlicher wird dieser Zusammenhang als an exakt jenem Ort, der der undarstellbare Ursprung des Films schlechthin genannt werden kann: am Schneidetisch, an dem die die konkrete Arbeit des Trennens und Zusammenfügens von Filmstreifen geschieht. Nicht die Augen, sondern die Hände – so der überraschende Befund – sind das eigentliche Organ des Filmemachers.

Manches vermisst man. Über das Verständnis der Montage bei Vertov und des Philosophierens durch Filmbilder bei Deleuze hätte man in diesem Kontext gerne mehr gelesen. Schließlich hätte es den Sinn für die Leistungen einer „montierenden Theorie“ nicht gemindert, sondern geschärft, auch deren Grenzen und Risiken klar zu benennen. Gerade einige der Werke Farockis drohen mitunter, sich an bloßen Ähnlichkeiten statt an strukturellen Korrespondenzen abzuarbeiten. Der große Wert der vorliegenden Arbeit aber muss in der detaillierten Analyse von Filmszenen gesehen werden. Statt weitschweifig die Theorie einer Theorie zu skizzieren, entwickelt und überprüft Pantenburg mit Geduld und Sorgfalt seine Thesen am Material selbst. Die Bewegung des Textes löst damit an sich selbst das ein, was sie an den Bildern Godards und Farockis aufzuweisen unternimmt: die Tugend, das Allgemeine im Konkreten auszudrücken.

Volker Pantenburg: „Film als Theorie. Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard“. Transcript, Bielefeld 2006. 324 Seiten, 29,80 €; Buchpräsentation heute Abend, 21 Uhr im Berliner Arsenal-Kino