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Die Gunst der Stunde

■ Konkurrenz verletzt: Walther wurde Deutscher Meister im Turnen

Schöne Bescherung für Oliver Walther zum 1. Advent: Der 21jährige Hallenser war bei den Deutschen Meisterschaften in Bremen mit 109,80 Punkten im olympischen Zwölfkampf der große Gewinner vor seinem Vereinskollegen Mario Franke (109,15) und Mannschafts-Olympiasieger Valerie Belenki Walther war aber auch der große Verlierer, weil er am Sonntag auf „Befehl von oben“ zum Swiss Cup nach St. Gallen brausen und deshalb die sechs Gerätfinals in Bremen sausen lassen mußte.

Walther, 1992 als „Aufsteiger des Jahres“ gefeiert, nutzte in Bremen die Gunst der Stunde. Da fehlten von den Großen der 89er- Sprung-Weltmeister Jörg Behrend (Angina), der 92er-WM-Dritte am Boden, Maik Krahberg (Schulter), der im letzten Jahr viermal erfolgreiche Marius Toba (Ellbogen) und schließlich auch noch Titelverteidiger Andreas Wecker (Daumen ausgekugelt). Aber der Hallenser sah sich deshalb keineswegs „als Meister in Anführungszeichen“. Schon vor den vier Absagen hatte Halles Nummer 1 am Wochenanfang seine Anhängerschaft mit „diesmal bin ich dran“ erschreckt; er wurde im vierten Anlauf erstmals Deutscher Meister.

„Natürlich wäre der Wettkampf mit Wecker spannender geworden, aber für mich hat dieser Zwölfkampf-Titel einen hohen Stellenwert“, berichtete Walther. Mit 54,95 besaß der WM-Dritte mit der 91er-Mannschaft einen schon beruhigenden Vorsprung, obwohl er mit 8,45 am Seitpferd einen Hänger hatte. Als er vor dem zwölften Durchgang mit 1,70 Punkten führte, konnte er sich am Reck nach dem Kovacs-Salto sogar einen Absteiger und eine 8,30 leisten. „Ich habe die Stange um Millimeter verfehlt, aber am Schluß des Wettkampfs und bei diesem Zwischenstand waren Konzentration und Spannung nicht mehr so groß. Da kann das schon passieren“, sagte Walther, weil ihm zehn geglückte Übungen zum Zwölfkampf-Triumph gelangt hatten.

Der Olympia-13. von Barcelona erreichte mit diesem Sieg nicht nur das sich selbst gesteckte Ziel, sondern erfüllte auch die Forderung seines „ab und zu im Training drängelnden“ Uwe Ronneburg vor der Kür: „Kein Taktieren, da gibt's nur Sekt oder Selters.“ Mit 54,85 erreichte Walther zwar nur die drittbeste Kür-Note, aber sie reichte immer noch aus, um Franke mit 0,65 und den am Schlüsselbein verletzten Ex-Weltmeister Belenki (Kür- Bester mit 56,85) gar um 1,80 hinter sich zu lassen, der nach nur einer Woche Pflicht-Training mit 51,15 zur „Halbzeit“ noch an achter Stelle rangiert hatte. Ralf Büchner als Reck-Weltmeister von 1991 folgte mit 2,80 Rückstand.

Valerie Belenki (Stuttgart) aus Aserbeidschan, 1989 und 1991 dreifacher Weltmeister und 1992 Mannschafts-Olympiasieger mit der GUS-Riege, hatte mit der Entscheidung im Zwölfkampf nichts zu tun, nachdem seine Barren- Pflicht (7,75) zur Lachnummer geriet. Der Name „Belenki“ war bei den Meisterschaften ein Reizwort besonderer Art: Der 24jährige Wahl-Stuttgarter hatte vom Deutschen Turner-Bund erst vor wenigen Tagen die Startgenehmigung erhalten. „Das war natürlich nicht der alte Belenki, aber er war wenigstens dabei und scheute kein Risiko. Ohne großes Training nimmt er sogar eine Niederlage in Kauf, das ist ihm hoch anzurechnen“, meinte Cheftrainer Franz Heinlein. dpa

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