piwik no script img

Die Grünen suchen nach neuem ChefDer rechte Mann gesucht

Der Realo-Flügel scheint schwach aufgestellt zu sein. Beim künftigen Bundesvorsitz ist nur eines fast sicher: Claudia Roth bleibt.

"Ich mache das auf keinen Fall", sagt NRW-Landeschef Arndt Klocke. Bild: dpa

Grüne Gleichstellung

Quote: Die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern soll durch eine Quotierung von Ämtern und Mandaten erreicht werden. Dem Bundesvorstand gehören zwei gleichberechtigte Vorsitzende an, davon ist mindestens eine Frau.

Vorsitzende: Die bisherigen Chefs der Grünen in chronologischer Folge waren Marianne Birthler und Ludger Volmer; Krista Sager und Jürgen Trittin; Gunda Röstel und Antje Radcke; Renate Künast und Fritz Kuhn; Claudia Roth und Reinhard Bütikofer; Angelika Beer und bis heute wieder Claudia Roth.

Kinder & Beruf: Um das politische Mandat mit der Familie zu vereinbaren, organisiert laut Frauenstatut die zuständige Geschäftsstelle die Kinderbetreuung während politischer Veranstaltungen. Mütter und

Väter, die in bundesweiten Gremien der Partei ein politisches Mandat wahrnehmen, erhalten auf Antrag Geld für Kinderbetreuung.

Gesucht wird: Führungspersönlichkeit mit maximalem Integrationsgeschick. Intrigentraining für Kursmanöver auf dicht bevölkerter Entscheidungsebene sowie Claudia-Roth-Kompatibilität werden vorausgesetzt. Bei gleicher Qualifikation werden Männer unter 50 bevorzugt. Dienstantritt: Parteitag der Grünen, 16. November d. J. Gehalt: 7.000 Euro brutto. Keine Kinderzulagen.

Der eine oder die andere grüne Prominente hat es schon spöttisch angemerkt: Da ist ein freier Platz an der Grünenspitze! Und was macht der Nachwuchs, der sonst stets nach einem Generationenwechsel ruft? Er sagt ab.

Anfang März kündigte Grünenchef Reinhard Bütikofer seinen Rückzug an. Ein "junges Gesicht" solle her, sagte Bütikofer. Er will ins Europaparlament. Den Zeitpunkt für diese Erklärung hielt er für geeignet, da erstens sich das Knäuel an der Grünenführung gerade auflöste: Fraktionschefin Renate Künast und Vizefraktionschef Jürgen Trittin wurden zu Spitzenkandidaten ausgerufen. Zweitens bleibe noch Gelegenheit zur Einarbeitung bis zum Bundestagswahlkampf. Drittens sei bis zum Parteitag im November genug Zeit für die Kandidatenaufstellung.

Doch könnte es sein, dass der Stratege Bütikofer den Seinen gar keinen so großen Gefallen getan hat. Denn sein Realo-Flügel sieht plötzlich recht mager aus. Welches Grünentalent auch gefragt wird - bislang nennt noch jeder gute Gründe, warum er nicht infrage komme. "Ich mache das auf keinen Fall", sagt etwa der nordrhein-westfälische Landeschef Arndt Klocke. "Ich werde mich jetzt im April für einen zweite Amtszeit als Landesvorsitzender bewerben" - und auf die auch für den Bund so wichtigen Landtagswahlen 2010 zusteuern.

Cem Özdemir möchte lieber zurück in den Bundestag - wobei ein Mandat längst nicht mehr unvereinbar ist mit dem Bundesvorsitz. Nur Kabinettsposten oder Fraktionsvorsitz plus Parteivorsitz, das lässt die Satzung nicht zu. Darum aber will Tarek Al-Wazir in Hessen bleiben. Boris Palmer ist als Tübinger Oberbürgermeister gerade mal ein Jahr im Amt. Für die Hamburger Landeschefin Anja Hajduk dürfte während der Koalitionsverhandlungen mit der CDU ein Senatorinnensessel aufgewärmt werden. Die sächsische Fraktionschefin Antje Hermenau sagt schlankweg: "Ich schließe die Kandidatur aus. Ich habe einen 15 Monate alten Sohn."

Hermenau ist dabei nicht die Einzige, die auf ein Kind verweist. Die Männer tun dies meist nicht ganz so offen - einmal abgesehen vom schleswig-holsteinischen Landeschef Robert Habeck (siehe Interview). Es stellt sich heraus, dass die jüngeren grünen Männer mit der Emanzipation jedenfalls insoweit Ernst machen, als Sie sich auch an die Lebenspläne ihrer Partnerin gebunden fühlen - da ist ein Umzug nach Berlin mit allem, was der Bundesvorsitz an familienfeindlichen Strapazen verspricht, nicht selbstverständlich.

Der linke Flügel hat sich bereits hinter der Koparteichefin Claudia Roth aufgestellt. Sie will im November als Garantin für Kontinuität wiedergewählt werden. Die jüngsten kleinen Attacken auf Roth - etwa vom Expromi Rezzo Schlauch, aber auch von Hermenau - haben der Sammlungsbewegung bislang nur geholfen. Und alle Grünen wissen: Der Frauenplatz wird zuerst gewählt. Sollte es ein schlechtes Ergebnis für Roth geben, wird der Realo-Kandidat nicht ungeschoren davonkommen. Das ist eine komfortable Lage - für Roth.

Im anderen Lager werden dagegen schon Bedingungen formuliert, die das Kandidatenfeld nicht gerade ausweiten. So will Klocke, der den stärksten Landesverband vertritt, kein satzungsmäßig durchaus auch vorgesehenes Frauendoppel. "Ich präferiere eine gemischtgeschlechtliche Spitze", sagt er. "Doppelspitzen leben von Polarität: Sie sollen für den Flügelausgleich, für thematische Vielfalt, aber auch für den Geschlechterausgleich sorgen. Nur so entfalten sie ihre Strahlkraft."

Hermenau, die zeitgleich mit der Bundestagswahl in Sachsen die Landtagswahl zu bestreiten hat, erklärt: "Wir brauchen einen urbaneren Auftritt. Die Frage ist doch: Wie viele Lebenswirklichkeiten bilden wir ab?" Der oder die neue Bundesvorsitzende dürfe sich eben gerade nicht von der Familie aufhalten lassen, sondern "muss auf die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Bezug nehmen", verlangt sie und macht einen Vorschlag, der mögliche Interessenten nicht unbedingt ermuntern wird: "Regionalkonferenzen nach dem Vorbild der US-amerikanischen Primaries wären eine wunderbare Gelegenheit, die Kandidaten im Land bekannt zu machen."

Kann sein, dass mancher noch in der Deckung bleibt, um nicht zu früh attackiert zu werden. Doch geistert bereits ein Gerücht durch Grünen-Kreise: Fritz Kuhn hätte nach der Wahl 2009 ohne Regierungsbeteiligung seinen Fraktionsvorsitz an Trittin abzugeben. Der Parteivorsitz wäre seine Chance zum Machterhalt. Die Grünenführung, sie bekäme den Anstrich von Ewigkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!