: Die Großen müssen betteln
WELTPOLITIK Die Schwellenländer treten beim Gipfel mit neuem Selbstbewusstsein auf, Nordamerikaner und Europäer sind von nun an die Bittsteller. Erste Proteste in Nizza
AUS CANNES MALTE KREUTZFELDT
Der Luxus des alten Europa ist in Cannes nicht zu übersehen. Am Boulevard La Croisette, der sich vom Yachthafen vorbei am Palast der Filmfestspiele direkt parallel zum Traumstrand der Côte d’Azur erstreckt, reihen sich edle Hotels und Boutiquen aneinander. Hierher hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Staaten der Welt eingeladen, um am Donnerstag und Freitag über die globalen Probleme zu beraten.
Der Lack blättert
Es könnte eine symbolische Ortswahl sein. Denn so wie in Cannes das Publikum gealtert ist und hinter den Fassaden der Hotels an vielen Stellen der Lack blättert, ist auch die traditionelle Vormachtstellung von USA und EU angekratzt – mindestens. In der „Gruppe der Sieben“ (G 7), die jahrzehntelang die Weltgeschicke bestimmte, waren Europäer, Nordamerikaner und Japan unter sich. Später kam die ehemalige Supermacht Russland dazu, seit 2008 hat sich der Zirkel um 11 Schwellenländer (und die EU) zur „G 20“ erweitert. Doch erst in Cannes wird die Machtverschiebung richtig zu spüren sein.
Demonstranten müssen sie dabei nicht fürchten: Die werden mit Metallzäunen und 12.000 Polizisten vom Tagungsort ferngehalten und müssen mit dem 35 Kilometer entfernten Nizza vorliebnehmen, wo von heute an ein Alternativgipfel stattfindet und wo schon am Dienstagnachmittag mehrere tausend Menschen gegen die Macht der Banken auf die Straße gingen, darunter viele Mitglieder von Gewerkschaften und Attac. Die Demonstration dauerte bei Redaktionsschluss noch an, genaue Zahlen waren noch nicht bekannt (mehr auf taz.de). Doch auch ohne Gegendemonstranten könnte in Cannes deutlich werden, wie die Macht der Industrienationen in Frage gestellt wird.
„Wir sind sicher, dass Europa die Kompetenz hat, die Schwierigkeiten zu überwinden“, hatte der chinesische Staatspräsident Hu Jintao am Montag die Eurokrise kommentiert und für die Lösung „tatkräftige Unterstützung“ versprochen. Früher hätten die Europäer sich solche gönnerhaften Töne verbeten, heute müssen sie dafür dankbar sein.
Die Eurostaaten standen in den vergangenen Wochen unter massivem Druck, ihre Schulden- und Währungskrise bis zum G-20-Gipfel in den Griff zu bekommen. Nun haben sie zwar eine Lösung gefunden, doch um ihr Rettungspaket auf die notwendige Größe zu hebeln, sind sie auf die Unterstützung anderer Staaten angewiesen, ähnlich wie die USA, die ihre Staatsschulden schon lange nur mit Hilfe Chinas finanzieren können.
Unterstrichen wird die neue Rollenverteilung – auf der einen Seite EU und USA als das Problem, auf der anderen die Schwellenländer als die Lösung – auch von den Wachstumszahlen, die die OECD kurz vor dem Gipfel veröffentlicht hat: Für die Eurozone gehen die Ökonomen für 2012 nur noch von einem Wachstum von 0,3 Prozent aus, in den USA werden 1,8 Prozent erwartet. Dass die G-20-Staaten insgesamt auf einen Wert von 3,8 Prozent kommen, ist den Schwellenländern zu verdanken, allen voran China.
Macht des Dollars wankt
Die Agenda des Gipfels bleibt davon nicht unberührt. Ein zentrales Anliegen, das Sarkozy mit den Vertretern der Schwellenländer teilt, ist es, die Vorherrschaft des US-Dollars in der Weltwirtschaft zu reduzieren. Eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Mexiko und Deutschland hat dazu eine kritische Analyse und Vorschläge ausgearbeitet: Die „starke Dominanz des US-Dollars als Reservewährung“, die den USA erhebliche Vorteile verschafft, wird darin als eine der „Schwächen des internationalen Währungssystems“ genannt.
Als Abhilfe kommt nach Ansicht der Autoren vor allem eine Erweiterung des IWF-Währungskorbes um den chinesischen Renminbi in Betracht. Auch Kapitalverkehrskontrollen werden immerhin als Möglichkeit genannt. Konkrete Entscheidungen werden bei diesem Thema nicht erwartet, die Richtung ist jedoch klar: Die Schwellenländer wollen ihr gewachsenes wirtschaftliches Gewicht in Zukunft auch in den Regeln der internationalen Finanzmärkte verankert sehen.
Ebenfalls auf der Tagesordnung stehen strengere Regeln für Großbanken. 29 von ihnen sind deutschen Regierungskreisen zufolge identifiziert worden; für sie sollen künftig verschärfte Eigenkapitalregeln gelten. Auch sogenannte Schattenbanken, etwa große Hedgefonds, sollen künftig einer Regulierung unterworfen werden. Erwartet wird in Cannes zudem ein Aktionsplan für mehr Wachstum, der allerdings durch den ebenfalls erwarteten Druck zu weiteren massiven Sparmaßnahmen konterkariert werden könnte.
Ein Herzensanliegen der Europäer, die Finanztransaktionsteuer, wird in Cannes keine realistischen Chancen haben. Nachdem sie bereits im vergangenen Jahr beim G-20-Gipfel in Toronto abgelehnt worden war, hatte Angela Merkel zuletzt die Hoffnung geäußert, dass die neue Zuspitzung der Finanzkrise zu einem Umdenken geführt haben könnte. Doch mittlerweile räumen auch deutsche Regierungsvertreter ein, dass nicht mit einer Einigung zu rechnen ist. Anders als in den Casinos am Boulevard de la Croisette in Cannes, bei denen der Staat zumindest ein wenig mitverdient, bleibt das Zocken an den Börsen also bis auf Weiteres steuerfrei – sofern die Eurostaaten sich nicht darauf besinnen, dass Entscheidungen auch weiterhin in kleinerem Kreis als in der G 20 möglich sind.
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