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Archiv-Artikel

DIE PDS IST ERFOLGREICH, WEIL SIE ÜBER EINE STARKE BASIS VERFÜGT Die Graswurzelpartei

Es mag einem ja schwer über die Lippen kommen, aber mit einer Einschätzung hat Erich Honecker Recht behalten: Totgesagte leben länger! Nachträglich erscheint die 2002, nach der Bundestagswahl, nahezu unisono vorgetragene Diagnose der Politiker wie der Medien vom baldigen Exodus der PDS als Pfusch, als Produkt des Wunschdenkens.

Auch jetzt, kaum dass die amtlichen Endergebnisse vorliegen, hagelt es wieder Erklärungsversuche, diesmal zum Erfolg der PDS. Franz Müntefering rechnet die PDS-Stimmen aufs Protestkonto. Die PDS, so der SPD-Vorsitzende noch am Abend der Wahlen, habe den Wählern „das Blaue vom Himmel versprochen“, habe mit Slogans wie „Es reicht!“ in linkspopulistischer Manier die Unzufriedenheit bei ArbeiterInnen und Angestellten mit der Agenda 2010 auf ihre Klappermühlen gelenkt. Klingt gut und wird bereits nachgebetet.

Wie kommt es dann aber, dass die PDS in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie für eine gescheiterte Infrastruktur-Politik mitverantwortlich ist, bei den Europa-Wahlen nur milde gerügt wurde, dass sie als Juniorpartner des Berliner Extrem-Sparkurses sich in ihren Hochburgen gut behauptete? Wieso trifft in beiden Fällen die Diskrepanz zwischen Anspruch und Regierungswirklichkeit mit voller Härte die SPD und nicht die Wendesozialisten?

Weil die PDS in den östlichen Bundesländern über ein tief gestaffeltes Einflusssystem verfügt, mit der kommunalen Verankerung als Basis und eingespielten Teams auf allen Ebenen. Hinzu kommt; die PDS-Anhänger sind realitätserprobt und hart im Nehmen. Damit kann nicht mal die CSU konkurrieren, obwohl sie doch die einzige Partei ist, die je das realsozialistische Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ verwirklichte. Einst sprach man von der „Milieu“-Partei PDS in der Hoffnung, die Milieus würden sich kraft demografischen, sozialen und kulturellen Wandels zersetzen – Erledigung durch Zeitablauf. Solche Tendenzen gibt es, aber sie wirken langfristig und man kann kraft „Politik vor Ort“ etwas gegen sie tun. Und sei es durch die Mobilisierung der PDS-Rentner-Scharen. Statt der Milieu- beginnt man jetzt von der Graswurzelpartei zu reden. Nicht zu Unrecht. CHRISTIAN SEMLER