Die Gräber von Paestum-Ausstellung in Berlin: Nach Süden, Richtung Tod

Die Ausstellung "Malerei für die Ewigkeit - Die Gräber von Paestum" im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt interessante Unterschiede in der antiken Darstellung von Männern und Frauen auf.

Im Leichensack ist er zurückgekommen. Auf der Rollbahn wartet die junge Frau tapfer auf die leiblichen Reste des Mannes, der voll Zuversicht als Held losgezogen ist und als Held jetzt ewig schweigend wieder heimkehrt. Aber halt! Wir müssen über 2.000 Jahre zurückgehen, nach Süditalien, ins lukanische Paestum des 5. Jahrhunderts vor Christus. Zu Pferde ist der junge Mann losgezogen. Und zu Pferde ist er heldenhaft an der Innenwand seines Grabs für die Ewigkeit dargestellt, nach Süden gerichtet - die Richtung des Todes.

Insgesamt 43 bemalte Grabplatten aus dem Museo Archeologico Nazionale di Paestum, darunter sieben vollständige Gräber, sind in der Ausstellung "Malerei für die Ewigkeit - Die Gräber von Paestum", noch bis Ende September im Berliner Gropius-Bau zu besichtigen. Die aus jeweils vier tonnenschweren Einzelplatten bestehenden Steingräber der lukanischen Oberschicht wurden in der Ausstellung wieder zu ihrer ursprünglichen Form zusammengesetzt und frei im Raum aufgestellt. Alle, die in ihnen begraben wurden, ob berittene Krieger, ihre Frauen und Kinder, sind die Opfer eines frühen Todes.

Die Thematik ist brisant, es geht um Tod, Trauer, das Vergießen von Blut und nicht zuletzt um Erotik. Wer hofft, hier tiefer in den Komplex eingeführt zu werden, den belehrt die Ausstellung eines anderen. Denn wie gewohnt, vermeidet die Archäologie in ihrem vermeintlich wissenschaftlich-objektiven Stil jede Spekulation auf die historische Erzählung.

Nicht anders als in der zeitgenössischen Bildberichterstattung sehen wir auch auf diesen Grabplatten den Mann an seiner Rolle leiden, die ihn zum Kampf bestimmt, chancenlos der Zwangsjacke des Heldentums zu entkommen. Sogar im Tod sitzt er noch zu Pferde: als einziges Zeichen seines Ablebens gelten die baumelnden nackten Füße. Er ist einer ewigen Mutprobe ausgesetzt, im immerwährenden Kampf gegen Schwäche, Nachgiebigkeit, Unentschlossenheit, gar Hilflosigkeit. Sogar beim Tod seiner Ehefrau in tiefer Trauer, tritt er gerüstet und zu Pferde auf. Die Frau wiederum liegt leblos, aber sorgfältig geschminkt, auf der Bahre - sofern sie nicht umgekehrt einen Verstorbenen beweint, mit erhobenem Arm und aufgesperrtem Mund, hilflos den Tod anklagend.

"Das Blut, nicht der Krieg, ist das organisierende Prinzip des menschlichen Lebens", sagt die amerikanische Dichterin Judy Grahn. Ein kurzer Blick in die Mehrzahl der aufgestellten Kistengräber scheint ihre These zu bestätigen. Alle Gräber zeigen die gleichen blutigen Szenen. Blut fließt aus den Nasen der Boxkämpfer, und trotz Beinschienen und Brustpanzern spritzt es mit voller Kraft aus den Wunden der Speerkämpfer. Tiere mit blutigen Verletzungen fliehen in Angst und Schrecken vor dem Jäger; auch unter ihnen nimmt der blutige Kampf kein Ende, etwa beim Greif und der getüpfelten Raubkatze, die miteinander um ihr Leben ringen.

Ohne den Kontext zu erklären, listen die Begleittexte detailfreudig auf, was in den Szenen ohnehin zu sehen ist, etwa die Wagengespanne, als Biga oder Quadriga, mit Rappen, Falben, Schimmel oder Fuchs. Doch warum fixierten sich die Schöpfer dieser Gräber so sehr auf das Blutvergießen? Und warum bluten die Frauen eigenartigerweise nicht? Wo man sich sonst bei dieser Grabmalerei vor bluttriefenden Körperöffnungen kaum retten kann?

Könnten die Blutriten der Männer, die auf den Bildern völlig außer Kontrolle geraten sind, ihren Ursprung in einer symbolischen Aneignung des monatlichen Blutens der Frauen haben? Als Machtmittel und Solidarisierungsquelle, wie in den kultischen Ritualen urzeitlicher Stämme in Afrika, den Philippinen, Neu-Guinea oder Australien beobachtet wurde, im Stechen, Aufschlitzen und Aufreißen des Fleisches?

Solche Fragen sind den archäologischen Ausstellungen in Berlin fremd. Dafür arbeiten sie mit Paradigmen, die die Machtverhältnisse verschleiern und das Verständnis individueller Motivationen erschweren. Begriffe wie "Ritter", "Dienerin" oder "Sklave" werden mit einer Selbstverständlichkeit benutzt, die für sich spricht. Es wundert dann nicht weiter, dass die Lebenswirklichkeit dieser Ritter, Dienerinnen und Sklaven ausgeblendet bleibt.

Doch die Steingräber sind nicht nur mit Menschen und Tieren ausgestattet. Ein anderes Motiv fällt auf, das seinen Gegenstand ein weiteres Mal als Verwundeten und dabei doch als Symbol des Lebens zeigt: die aufgebrochene, dunkelrote Frucht des Granatapfels. Er gilt, wie erklärt wird, als Sinnbild für das ewige Weiterleben im Jenseits. Tatsächlich spricht die saftige Überfülle des kernreichen Fruchtfleisches von Genuss, von Lebens- und Sinnesfreude, gerade im Umfeld des Todes. Etwas von dieser Lebendigkeit würde man sich von der nächsten archäologischen Schau in Berlin dringend wünschen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.