■ Die Gleichung „Muslime = Einwanderer“ stimmt in Frankreich nicht mehr: Klischees und Kontrolle
Der Islam ist für Frankreich ein Problem. Die inzwischen zweitstärkste Religion des Landes wird von der Öffentlichkeit verkannt und zugleich abgelehnt. Sie behält vom Islam nur einige Klischees und umstrittene Themen (vor allem über die Rolle der Frau), die ihr vollkommen fremd erscheinen. Hinzu kommt die Ablehnung der Immigration. Denn für den Durchschnittsfranzosen sind die anderthalb Millionen Einwanderer aus dem Maghreb der sichtbarste Ausdruck des Islams.
Diese Sicht entspricht jedoch nicht mehr der Realität. Viele zunächst arme Immigranten der 50er Jahre sind sozial aufgestiegen; doch diejenigen, die Erfolg gehabt haben, werden nicht mehr als Maghrebiner und Muslime bezeichnet. Schließlich bedeutet Integration in Frankreich die Aufgabe der fremden Tradition und Religion. Diese Sicht ignoriert auch, daß der Islam in Frankreich inzwischen eine nationale Komponente hat: Immer mehr französische Bürger sind inzwischen muslimischer Konfession, sei es, weil die Einwandererkinder hier geboren sind und damit die Staatsbürgerschaft annehmen können, sei es durch den Übertritt zur islamischen Religion.
Der Staat nimmt dem Islam gegenüber eine zweideutige Haltung ein. Einerseits verweigert er die Einmischung in religiöse Angelegenheiten, andererseits versucht der Innenminister, die Organisation der Muslime zu beeinflussen. Aus Sorge vor dem Einfluß von islamistischen Bewegungen gründete er 1990 den „Rat zur Reflexion über den Islam“ (CORIF), der den Staat beraten und die muslimische Gemeinschaft zugleich kontrollieren soll. Die Muslime erkennen den CORIF jedoch nicht als Autorität an – auch weil die muslimische Bevölkerung in Frankreich von all diesen Diskussionen ausgeschlossen bleibt. Was bei ihr dennoch ankommt, sind alarmierende Gerüchte.
Das zeigt sich besonders in den Banlieues: Die benachteiligten Gruppen dort hängen besonders an einer Religion, die sie kaum von den Traditionen ihrer Heimat unterscheidet. Wenn das Gerücht umgeht, daß „ihr“ ausländischer Imam wegen integristischer Aktivitäten ausgewiesen werden soll, erzeugt das Wut. Solche Agitation kann leicht in Unruhen ausschlagen, die wiederum politisch ausgeschlachtet werden können. Eine solche Entwicklung wäre schädlich sowohl für die Einwanderer, deren Zukunft unsicher ist, als auch für den so notwendigen Aufbau eines französischen Islam. Magali Morsy
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